Konkurrenzen BGB – Lösung vom Vertrag

Verhältnis von Gestaltungsrechten und Ansprüchen auf Schadensersatz bei der Beseitigung des Primäranspruchs; Übersicht der Konkurrenzen und Meinungsstreite

Datum
Rechtsgebiet Kaufvertrag
Ø Lesezeit 10 Minuten
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Oft lautet die Fallfrage im Zivilrecht: Kann X sich vom Vertrag lösen? Kann X von Y Herausgabe der Sache verlangen? Oder: Schuldet Y dem X Schadensersatz? Dann müssen zunächst alle in Betracht kommenden Ansprüche gesammelt werden. Sodann stellt sich die Frage der Konkurrenzen: In welchem Verhältnis stehen die jeweiligen Ansprüche zueinander? Schließen sie sich gegenseitig aus? Die folgende Aufsatzreihe soll je nach Rechtsfolge einen Überblick über die in Frage kommenden Ansprüche sowie deren Verhältnis zueinander gewähren. Im ersten Teil werden nun die Ansprüche dargestellt, die den Primäranspruch beseitigen, indem sie ihn entweder zum Erlöschen bringen oder ihn in Sekundäransprüche umwandeln.

Ist nach der Beseitigung des Primäranspruchs gefragt, kommen folgende Ansprüche bzw. Gestaltungsrechte in Betracht:

A. Konkurrenzen bei der Anfechtung und c.i.c., deliktischen Ansprüchen und Störung der Geschäftsgrundlage

I. Verhältnis von Anfechtung und c.i.c.

Zunächst ist fraglich, wie das Anfechtungsrecht zu dem Anspruch auf Vertragsaufhebung wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung nach §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB i.V.m. § 249 BGB steht. Denn wurde der eine Vertragspartner durch Täuschung zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags bestimmt, liegt zugleich eine zu vertretende vorvertragliche Pflichtverletzung vor. Gem. § 249 I BGB kann als Ersatz des negativen Interesses die Aufhebung des Vertrags verlangt werden. Dies entspricht der Rechtsfolge nach erfolgreicher Anfechtung gemäß § 142 BGB. Allerdings bestehen im Rahmen der Voraussetzungen erhebliche Unterschiede.

Unterschiedliche Voraussetzungen Anfechtung – c.i.c.

Im Fall der Anfechtung nach § 123 BGB beträgt die Anfechtungsfrist gem. § 124 BGB ein Jahr. Der Anspruch aus c.i.c. verjährt dagegen innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB, beginnend zum Schluss des Jahres, in dem von der Anspruchsentstehung Kenntnis erlangt wurde (§ 199 BGB). Die Anfechtung setzt des Weiteren eine vorsätzliche Täuschung voraus, wohingegen bei der c.i.c. bereits die fahrlässige Verursachung eines Irrtums ausreicht. Diese wird darüber hinaus gem. § 280 I 2 BGB vermutet.

Lösung der Konkurrenzen-Frage

Trotz der aufgezeigten Widersprüche ist die c.i.c. nach ständiger Rechtsprechung des BGH und nach Ansicht der herrschenden Lehre neben dem Anfechtungsrecht anwendbar. Begründet wird dies mit den unterschiedlichen Schutzrichtungen der beiden Institute: der Schutz der freien Willensbildung durch die Anfechtungsregelungen einerseits und der Schutz des Vermögens durch die §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB andererseits. Diese Differenzierung zeige sich vor allem in den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen. Denn das Anfechtungsrecht ist im Gegensatz zur c.i.c. unabhängig vom Eintritt eines Vermögensschadens. Nach einer Mindermeinung trifft diese Argumentation hingegen nur teilweise zu. Denn eine Anfechtung wird regelmäßig nur im Fall einer nachteiligen Willenserklärung erklärt werden, wenn es ebenfalls zu einem Vermögensschaden gekommen ist. Zudem ist im Rahmen der c.i.c. bereits ein subjektiver Schadenseinschlag für die Bejahung eines Vermögensschadens ausreichend, wobei die Grenzen zu den Willensmängeln wohl fließend sind.

Klausurtaktik

Besteht ein Anfechtungsrecht, kann der Streit in der Klausur dahinstehen, da nach erfolgter Anfechtung der nachteilige Vertrag und damit auch der Schaden entfällt. Ist hingegen keine Anfechtung möglich (z.B. bei nur fahrlässiger Täuschung) oder ist diese verfristet, kommt es entscheidend auf den Streit an.

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II. Konkurrenzen bei Anfechtung und deliktischen Ansprüchen i.V.m. § 249 BGB

Deliktische Ansprüche wie z.B. § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB oder § 826 BGB, die auf Aufhebung des nachteiligen Vertrags gerichtet sind, finden nach h.M. uneingeschränkt neben dem Anfechtungsrecht Anwendung. Im Unterschied zur c.i.c. liegt in jedem Fall ein vorsätzliches Verhalten wie bei § 123 BGB vor. Die unterschiedliche Verjährung nach §§ 195, 199 BGB im Vergleich zur Anfechtungsfrist nach § 124 BGB bereitet keine Bedenken, da derjenige, der vorsätzlich und sittenwidrig schädigt oder den § 263 StGB verwirklicht, nicht schutzbedürftig ist. Dies zeigt auch die Vorschrift des § 853 BGB, wonach sogar nach Eintritt der Verjährung noch ein Leistungsverweigerungsrecht besteht.

III. Konkurrenzen bei Anfechtung und Störung der Geschäftsgrundlage (SGG)

Sowohl die Anfechtung nach § 119 II BGB als auch die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB betreffen die Loslösung vom Vertrag infolge eines beachtlichen Motivirrtums. Bei § 119 II BGB liegt ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Kaufsache vor. Im Rahmen des § 313 BGB haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, wesentlich verändert oder sich als falsch herausgestellt.

Grundsätzlich ist die Anfechtung gegenüber der SGG vorrangig.

Konkurrenzen beim beiderseitigen Motivirrtum

Problematisch ist das Konkurrenzverhältnis der beiden Rechtsinstitute im Fall des beiderseitigen Motivirrtums. Nach einer Ansicht soll hier ausnahmsweise allein § 313 BGB einschlägig sein. Begründet wird dies damit, dass es sonst vom Zufall abhinge, welche Partei im Fall des beiderseitigen Irrtums zuerst die Anfechtung erkläre und sich damit nach § 122 BGB schadensersatzpflichtig mache. Eine Anfechtung nach § 119 II BGB führe also zu unbilligen Ergebnissen. Nach herrschender Auffassung bleibt es hingegen beim Vorrang der Anfechtung. Diese Ansicht überzeugt. Denn welche Partei den Vertrag anficht, hängt nicht vom Zufall ab. Vielmehr wird dies regelmäßig nur diejenige Partei tun, für die der geschlossene Vertrag nachteilig ist. In diesem Fall erscheint es jedoch nicht unbillig der anderen Partei das negative Interesse nach § 122 BGB zu ersetzen. Für § 313 BGB verbleibt der Anwendungsbereich somit nur für solche Irrtümer, die nicht zugleich ein Anfechtungsrecht begründen.

B. Konkurrenzen bei Mängelrechten und Anfechtung, c.i.c. sowie Störung der Geschäftsgrundlage

I. Verhältnis von Mängelrechten und Anfechtung

1. Konkurrenzen Mängelrechte – § 119 II BGB

Die Mängelrechte beseitigen ebenfalls den Primäranspruch und wandeln diesen in die Sekundärrechte Nacherfüllung, Schadensersatz und Rücktritt um. Ist die Kaufsache mit einem Mangel behaftet, könnte man immer zugleich einen Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB annehmen, da die Mangelfreiheit eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt. Nach absolut einhelliger Ansicht muss im Fall des Irrtums des Käufers bzgl. der Mangelhaftigkeit der Kaufsache eine Anfechtung gem. § 119 II BGB ausscheiden. Grund hierfür sind drei entscheidende Wertungsgesichtspunkte des Kaufrechts, die nicht durch das Anfechtungsrecht umgangen werden dürfen:

2. Verjährung nach § 438 BGB

Die Gewährleistungsansprüche verjähren nach § 438 I BGB in 2 bzw. 5 Jahren, beginnend mit der Übergabe / Ablieferung (§ 438 II). Die Anfechtung ist hingegen bis zu 10 Jahre möglich (§ 121 II BGB).

3. Vorrang der Nacherfüllung

Des Weiteren würde bei Zulassung der Anfechtung das grundsätzliche Fristsetzungserfordernis nach §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB und §§ 437 Nr. 3, 281 I BGB umgangen werden. Dem Verkäufer würde sein Recht zur zweiten Andienung genommen.

4. Wertung des § 442 I 2 BGB

Letztlich ist der Ausschluss der Mängelrechte nach § 442 I 2 BGB bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels zu beachten. Die Anfechtung ist sogar bei einem unverschuldeten oder leicht fahrlässigen Irrtum zulässig.

5. Ausschluss der Anfechtung ab Gefahrübergang

Fraglich ist jedoch, ab welchem Zeitpunkt der Ausschluss des § 119 II BGB greift. Hier ist zwischen dem Anfechtungsrecht des Käufers und dem des Verkäufers (hierzu siehe unten) zu unterscheiden ist. Der Käufer ist nach herrschender Meinung nach dem Gefahrübergang aus den dargelegten Gründen auf seine Gewährleistungsrechte beschränkt, wenn das Fehlen der verkehrwesentlichen Eigenschaft einen Mangel darstellt.

6. Konkurrenzen Mängelrechte – § 123 BGB

Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB steht neben den Mängelrechten. Der Täuschende verdient keinen Schutz, sodass es des Vorrangs der Mängelrechte nicht bedarf. Im Fall der Arglist bestehen auch im Mängelrecht gewichtige Unterschiede: So kann sich der Käufer nach § 442 I 2 BGB auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels auf seine Gewährleistungsrechte berufen, sofern der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. § 438 III BGB normiert, dass die Mängelrechte bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung, abweichend von § 438 I und II BGB, in der regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB verjähren. Letztlich wird in diesem Fall auch die Setzung einer Nachfrist nach § 440 I Var. 3 BGB unzumutbar sein.

7. Anfechtung durch den Verkäufer

Ob eine Anfechtung nach § 119 II BGB durch den Verkäufer möglich ist, entscheidet sich danach, ob der Käufer von seinen Gewährleistungsrechten Gebrauch machen will. Ist dies der Fall, scheidet eine Anfechtung durch den Verkäufer aus, da er sich andernfalls den ihm obliegenden Pflichten entziehen würde. Hat der Käufer jedoch an der Geltendmachung seiner Gewährleistungsrechte kein Interesse, z.B. weil der Verkäufer ihm irrtümlich eine wertvollere Sache verkauft, muss eine Anfechtung nach § 119 II BGB möglich sein.

8. Andere Vertragstypen

Bei Vorliegen eines Werkvertrags ist die Anfechtung nach § 119 II BGB ebenfalls wegen des Vorrangs der Nacherfüllung (§§ 634 Nr. 3, 323 I BGB) sowie der abweichenden Verjährung (§ 634a BGB) ausgeschlossen. Die gilt jedoch nicht im Fall der Arglistanfechtung (§ 634a III BGB bzw. §§ 636 Var. 3, 323 II Nr. 3 BGB).

Auch das Mietrecht enthält mit den §§ 543 II Nr. 1, 569 I BGB Sondervorschriften gegenüber dem Anfechtungsrecht, da in den dort genannten Fällen nur eine Kündigung in Betracht kommen soll. Die Anfechtung nach § 123 BGB ist jedoch zulässig.

II. Konkurrenzen bei Mängelrechten und c.i.c.

Neben den Mängelrechten kommt ebenfalls eine auf Vertragsaufhebung gerichtete c.i.c. in Frage, sofern der Verkäufer den Käufer nicht über solche Umstände aufklärt, welche die Mangelhaftigkeit der Kaufsache begründen. Nach einer Ansicht soll die c.i.c. generell anwendbar, nach einer anderen immer unanwendbar sein. Der BGH sowie die h.M. gehen grundsätzlich davon aus, dass die c.i.c. von den Mängelrechten verdrängt wird, sofern und soweit sich die Verletzung der Aufklärungspflicht auf die vereinbarte Beschaffenheit der Sache bezieht. Hierfür sprechen erneut die Kriterien des Vorrangs der Nacherfüllung, der abweichenden Verjährung (§ 438 – §§ 195, 199 BGB) und die Wertung des § 442 I 2 BGB. Eine Ausnahme besteht wiederum im Fall der Arglistanfechtung, da hier keine Gefahr der Umgehung der Mängelrechte besteht.

Im Werk– und Mietrecht wird die c.i.c. ebenfalls von den besonderen Gewährleistungsregelungen verdrängt. Dies gilt nach h.M. wiederum nicht für die Anfechtung nach § 123 BGB.

III. Konkurrenzen bei Mängelrechten und Störung der Geschäftsgrundlage

Im Fall der Mangelhaftigkeit wäre zumeist auch eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 II BGB anzunehmen, da sich die wesentliche Vorstellung des Käufers eine mangelfreie Kaufsache zu erhalten im Anschluss als unzutreffend herausstellt. Allerdings stellt das Institut der SGG einen „letzten Billigkeitsanker“ dar, welcher hinsichtlich jeglicher Spezialregelungen subsidiär ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Mängelrechte im Einzelfall nicht einschlägig sind. Die SGG wird somit aus Konkurrenzgründen verdrängt.

C. Verhältnis von Rücktritt und Kündigung

Sind im Fall eines Rücktritts noch keine Leistungen ausgetauscht worden, kommt ihm die Wirkung einer rechtsvernichtenden Einwendung zu. Wurden bereits Leistungen erbracht, entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis nach den §§ 346 ff. BGB. Die Kündigung findet nur für Dauerschuldverhältnisse Anwendung und wirkt – anders als der Rücktritt – nur für die Zukunft. Es soll grundsätzlich keine Rückabwicklung erfolgen. Demzufolge schließen sich Rücktritt und Kündigung gegenseitig aus. § 314 BGB bzw. spezielle Kündigungsgründe wie die §§ 543, 569 BGB verdrängen die §§ 323 ff BGB. Eine Ausnahme besteht lediglich, falls noch keinerlei Leistungen ausgetauscht wurden. Denn dann scheidet eine Rückabwicklung aus.

D. Anmerkungen

Zu dem Thema dieses Beitrages kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden.

Zur Ergänzung siehe auch die weiteren Beiträge zum Zivilrecht.

siehe auch: Die Anfechtung; Klausur Forderungsabtretung

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