Einführung in das Strafrecht
Dieser Text soll einen einfachen Einstieg in das Strafrecht ermöglichen. Daher beschäftigt sich der Beitrag mit den wesentlichen Grundbegriffen und Grundsätzen aus dem Strafrecht und bietet zum Abschluss einige Wiederholungsfragen sowie eine Checkliste, um einen gefestigten Lernerfolg zu erzielen.
A. Funktion des Strafrechts
I. Schutzfunktion
Das Strafrecht orientiert sich an der Verfassung und dient der Bewerkstelligung des Gemeinwohls sowie dem Erhalt des Rechtsfriedens. Das Strafrecht sorgt dafür, dass sich das Recht gegenüber dem Unrecht durchsetzt.
II. Ultima-Ratio-Funktion
Der Erlass einer Strafvorschrift ist nur dann als notwendig zu erachten, wenn keine andere und mildere Möglichkeit ersichtlich ist, um einen wirksamen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten.
★ Wichtiger Hinweis
Beim Erlass einer solchen Norm muss also der Gesetzgeber tunlichst darauf achten, dass grundrechtlich geschützte Freiheitsräume nicht mehr eingeschränkt werden als notwendig. Es muss also stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein.
III. Garantiefunktion
Das Gesetzlichkeitsprinzip führt aus, dass eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn zum Zeitpunkt der Tatbegehung diesbezüglich eine Strafbarkeit gesetzlich festgelegt war. Dadurch soll der Schutz des Bürgers vor willkürlichen Eingriffen seitens der Staatsgewalt gewährleistet werden.
Aus diesem Gesetzlichkeitsprinzip ergibt sich daher der Bestimmtheitsgrundsatz. Dieser besagt, dass Tatbestände und Rechtsfolgen einer Norm stets hinreichend bestimmt (zumindest so präzise wie möglich) ausformuliert sein müssen. Allerdings kann keine vollständig genaue sprachliche Ausfertigung erwartet werden.
Zudem ergibt sich aus dem Gesetzlichkeitsprinzip ein Rückwirkungsverbot. Auf Sachverhalte, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben, darf also grundsätzlich kein neues strafbegründendes oder strafschärfendes Gesetz Anwendung finden.
★ Wichtiger Hinweis
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass vor Begehung der Tat diesbezüglich ein festgeschriebenes Gesetz existieren muss.
Änderungen einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung unterliegen keinem Rückwirkungsverbot.
B. Grundbegrifflichkeiten im Strafrecht
I. Sachverhalt
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Tatsachenstoff, der sich aus dem zugrundeliegenden Geschehensablauf herauskristallisiert.
II. Tatbestand
Der Tatbestand bildet sich aus den im Gesetz dargelegten Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale).
III. Subsumtion
Bei der Subsumtion geht es darum, den Sachverhalt mit den Voraussetzungen der Norm zu vergleichen. So wird also überprüft, ob der in Rede stehende Sachverhalt die Voraussetzungen des in Frage kommenden Straftatbestandes ausfüllt.
IV. Rechtsfolge
Die Rechtsfolge beschreibt die auf den möglichen Täter zukommende Sanktion (Strafe).
V. Erfolgsunwert
Unter dem Erfolgsunwert einer Tat versteht man die Verletzung oder Gefährdung des jeweiligen Schutzobjektes.
VI. Handlungsunwert
Der Handlungsunwert der Tat beschreibt die Art und Weise der Tatbegehung (z.B. vorsätzliche Begehung).
VII. Gesinnungsunwert
Der Gesinnungsunwert beschreibt den Schuldgehalt (Menge der Schuld), welcher dem Täter bei Begehung seiner Tat vorzuwerfen ist. Dabei geht es also um die persönliche Vorwerfbarkeit hinsichtlich einer konkreten Tat.
VIII. Handlungsobjekt (Tatobjekt)
Hierbei handelt es sich um das konkrete Ziel des Täters (Gegenstand oder Person). An diesem Ziel vollzieht der Täter dann die ins Auge gefasste Tathandlung.
IX. Rechtsgüter
Darunter sind ideelle Sozialwerte wie zum Beispiel Leben oder Eigentum zu verstehen.
Dabei unterscheidet man zwischen Individualrechtsgütern und Rechtsgütern der Allgemeinheit. Unter den Individualrechtsgütern sind Rechtsgüter des Einzelnen zu verstehen. – Leben, persönliche Freiheit, körperliche Unversehrtheit
Dagegen sind Rechtsgüter der Allgemeinheit Gemeinschaftsgüter. – Rechtspflege, Wahrung von Staatsgeheimnissen, Sicherheit des Straßenverkehrs, Urkunden im Rechtsverkehr
C. Unterscheidung zwischen Analogie und Auslegung im Strafrecht
I. Auslegung
Ziel der Auslegung ist es, den Gesetzessinn zu schärfen und zu bestimmen. Ebenso kann es darum gehen, ein bestehendes Gesetz den momentanen Anschauungen anzugleichen. Um den Gesetzessinn zu ermitteln, bedient man sich folgender Auslegungsmethoden:
- Grammatikalische Auslegung: Hierbei orientiert man sich sehr eng an dem Wortlaut des Gesetzes. Diese Form der Auslegung ist gerade im Strafrecht ein oft genutztes Mittel.
- Historische Auslegung: Hier betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Gesetzes näher und zieht daraus Rückschlüsse, wie das Gesetz zu verstehen ist. Dabei zieht man beispielsweise die dazugehörenden Regierungsentwürfe oder auch Protokolle der Plenarsitzungen heran.
★ Wichtiger Hinweis
Naturgemäß kann man ein solches Wissen in einer Klausur eher selten abrufen, was diese Auslegungsmethode tendenziell in den Hintergrund rücken lässt. In einer Hausarbeit können solche Informationen hingegen durchaus verlangt werden.
- Systematische Auslegung: Bei dieser Art der Auslegung betrachtet man überwiegend die Stellung der einzelnen Normen im Gesetzestext. Anhand der Positionierung versucht man sodann Rückschlüsse für eine sinnvolle Interpretation zu ziehen.
✱ Fallbeispiel
Man untersucht, unter welcher Überschrift die in Rede stehende Norm positioniert ist.
- Teleologische Auslegung: An dieser Stelle erfolgt die Gesetzesinterpretation anhand von Sinn und Zweck des Gesetzes in Bezug auf gegenwärtige Verhältnisse. Ob man eine einschränkende oder erweiternde Auslegung vornimmt, kommt auf den Einzelfall an.
- Verfassungskonforme bzw. unionsrechtskonforme Auslegung: Diese findet dann Anwendung, wenn die übrigen Auslegungsmethoden im Ergebnis im Widerspruch zum Grundgesetz oder zum Unionsrecht stehen.
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Dabei versucht man entdeckten Gesetzeslücken dadurch zu begegnen, dass man eine Norm mit anderen Voraussetzungen auf einen lediglich ähnlichen Fall ausdehnt. Eine solche Herangehensweise ist im Strafrecht – gerade zu Lasten des Täters – allerdings unzulässig!
Ebenso ist es unzulässig, eine Einschränkung tätergünstiger Vorschriften vorzunehmen!
D. Sinn und Zweck einer Strafe
Hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der Strafe gibt es mehrere Erklärungsansätze. Diese Ansätze teilen sich in absolute und relative Theorien auf.
I. Absolute Strafzwecktheorien
1. Sühnetheorie
Diese Theorie geht zunächst davon aus, dass der Täter sich durch die Strafe erneut mit der Rechtsordnung versöhnt. Kritik: Eine Versöhnung setzt naturgemäß einen freiwilligen Akt voraus.
2. Vergeltungstheorie
Danach soll auf ein begangenes Unrecht eine gleichermaßen harte Strafe folgen. Nur so könne die Herstellung von Gerechtigkeit gelingen.
Kritik: Hiergegen wird eingewendet, dass es eventuell zu Sozialisationsschäden kommen könnte. So könnten diese wiederum Ursache für die Verübung von Verbrechen sein. Dabei wäre die Gesellschaft dann verstärkt gefährdet.
II. Relative Strafzwecktheorien
1. Positive Generalprävention:
Danach soll eine Strafe ein stärkeres Rechtsbewusstsein hervorbringen. Ferner soll sie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsordnung verstärken.
2. Negative Generalprävention:
Hierbei soll es durch Androhung von Strafe und durch Bestrafung zu einer gewissen Abschreckung anderer kommen.
3. Positive Spezialprävention:
Dabei erwartet man durch die Bestrafung eine Besserung des Täters.
4. Negative Spezialprävention:
Danach soll durch die Einschließung des Täters ein Schutz für die Gesellschaft entstehen.
III. Vereinigungstheorie (h.M)
In Rechtsprechung und Literatur hat sich die sogenannte Vereinigungstheorie durchgesetzt. Für diese Theorie spricht zunächst, dass selbst das StGB sich nicht auf eine einzige wahre Strafzwecktheorie eingelassen hat. Ebenso gibt die Verfassung (GG) diesbezüglich keine Auskunft. Allerdings scheint das StGB von einer Vereinigungstheorie auszugehen. So zieht § 46 I 1 StGB die Schuld als Bemessungsfaktor für die Strafe heran. Hierbei wird also der Vergeltungsgedanke aufgegriffen. Im § 46 I 2 StGB kommen sodann eher spezialpräventive Kriterien zum Ausdruck. Dabei soll die Wiedereingliederung des Täters gelingen. Ferner lässt sich § 47 der Gedanke der Generalprävention entnehmen. Dieser wird durch die Wendung im Gesetz „Verteidigung der Rechtsordnung“ deutlich.
★ Wichtiger Hinweis
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine Kombination aus mehreren Strafzweckgedanken ausschlaggebend ist.
E. Anwendungsbereich des StGB
I. § 3 StGB
Hierbei lohnt es sich zunächst einen Blick in den § 3 StGB zu werfen. Danach gilt zunächst das sogenannte Territorialitätsprinzip (Gebietsgrundsatz), wonach der Tatort ausschlaggebend ist. Das StGB findet daher auf sämtliche Straftaten Anwendung, welche im Inland (Bundesrepublik Deutschland) begangen wurden.
Wann genau eine Inlandstat vorliegt, ist sodann § 9 StGB zu entnehmen.- Inlandstat (+), sobald die Handlung im Inland vorgenommen worden oder der tatbestandliche Erfolg im Inland eingetreten ist.
II. § 4 StGB
Bei § 4 StGB spricht man vom sogenannten Flaggenprinzip. Hat sich eine Straftat auf einem Schiff oder Luftfahrzeug, welches zum Führen der Bundesflagge oder des Staatsangehörigkeitszeichen der Bundesrepublik befugt war, zugetragen, so behandelt man die Straftat so, als ob sie im Inland begangen worden sei.
III. Straftaten im Ausland
Grundsätzlich würde hierfür nun das Territorialprinzip gelten. Allerdings kann aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips das deutsche Strafrecht zur Anwendung kommen. Dabei wäre der Anknüpfungspunkt hinsichtlich einer Strafverfolgung nach dem StGB die Staatsangehörigkeit. Hierbei gilt es jedoch noch die einschränkende Voraussetzung aus § 7 StGB zu beachten (bitte lesen).
Des Weiteren gilt das Schutzprinzip gemäß § 5 StGB. Danach kommt deutsches Strafrecht zur Anwendung, wenn inländische Rechtsgüter verletzt oder gefährdet werden.
✱ Fallbeispiel
Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates.
Ferner gilt nach § 6 StGB der sogenannte Weltrechtsgrundsatz. Dieser besagt, dass deutsches Strafrecht dann anzuwenden ist, wenn es sich um Straftaten gegen gemeinsame, in sämtlichen Staaten anerkannte Rechtsgüter handelt.
✱ Fallbeispiel
Menschenhandel.
Ebenso muss man den sogenannten Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege beachten,. Dieser ist dann einschlägig, wenn die eigentlich zuständige ausländische Staatsgewalt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen einen eigenen Strafanspruch nicht durchsetzen kann.
F. Wiederholungfragen
Frage 1: Der Begriff „Gesinnungsunwert“ steht in keinem Zusammenhang mit der Schuld. Richtig oder falsch ?
Frage 2: Der Sinn und Zweck einer Strafe ergibt sich aus einem einzigen Erklärungsansatz. Richtig oder falsch ?
Frage 3: Auslegung und Analogie sind keine Synonyme. Richtig oder falsch ?
Frage 4: Der Gesetzgeber sollte so viel wie möglich über strafrechtliche Normen regeln. Richtig oder falsch?
Frage 5: Man braucht, gerade im Hinblick auf die Klausurvorbereitung, kein verstärktes Augenmerk auf die historische Auslegungsmethode richten. Richtig oder falsch ?
G. Lösungen
Frage 1: Falsch. Der Gesinnungsunwert beschreibt den Schuldgehalt (Menge der Schuld), welcher dem Täter bei Begehung seiner Tat vorzuwerfen ist. Dabei geht es also um die persönliche Vorwerfbarkeit hinsichtlich einer konkreten Tat.
Frage 2: Falsch. Bezüglich Sinn und Zweck von Strafe ergeben sich verschiedene Erklärungsansätze. Dabei haben sich die Rechtsprechung und Literatur für die Vereinigungstheorie ausgesprochen.
Frage 3: Richtig. Bei der Auslegung geht es darum, den Gesetzessinn zu ermitteln. Durch eine Analogie hingegen versucht man Gesetzeslücken hinsichtlich nicht geregelter Sachverhalte zu schließen. Allerdings ist eine solche Herangehensweise im Strafrecht zu Lasten des Täters nicht zulässig.
Frage 4: Falsch. Denn damit würde man gegen die Ultima-Ratio-Funktion im Strafrecht verstoßen. Danach ist der Erlass einer Strafvorschrift nur dann als notwendig zu erachten, wenn keine andere und mildere Möglichkeit ersichtlich ist, um einen wirksamen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten.
Frage 5: Richtig. So kann die historische Auslegungsmethode sehr wohl auch in einer Klausur Anwendung finden. Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass man zu jeder Problematik den geschichtlichen Hintergrund darlegen kann. Daher dürfte diese Methode in Klausuren nur in den seltensten Fällen verlangt werden. Anders kann dies in einer Hausarbeit sein.
H. Jura-Individuell-Schnellcheck, Einführung in das Strafrecht
Das Wichtigste im Überblick: Checkliste
- Wichtige Funktionen des Strafrechts: Schutzfunktion, Ultima-Ratio-Funktion, Garantiefunktion
- Eine Norm muss hinreichend bestimmt sein und es gilt grundsätzlich ein Rückwirkungsverbot.
- Es ist zwischen Auslegung und Analogie zu unterscheiden.
- Die wichtigsten Auslegungsmethoden: Grammatikalische Auslegung, historische Auslegung, systematische Auslegung, teleologische Auslegung, -verfassungskonforme Auslegung, unionskonforme Auslegung
- Hinsichtlich Sinn und Zweck von Strafe – Vereinigungstheorie = h.M.
- Der Anwendungsbereich des StGB kann sich bis ins Ausland erstrecken.
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