Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV

Verfahren im Europarecht, Schemata zum Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV

Datum
Rechtsgebiet Europarecht
Ø Lesezeit 5 Minuten
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Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit dem Vorabentscheidungsverfahren. Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage und der Staatenklage, die Nichtigkeitsklage und die Untätigkeitsklage.

Im Folgenden wird das Vorabentscheidungsverfahren kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV im Allgemeinen

Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, es den nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen. Ziel ist es, eine unterschiedliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verhindern und damit die Einheitlichkeit und Effektivität des Unionsrechts zu sichern.

Von seiner Art her weist das Vorabentscheidungsverfahren Parallelen zu unserer deutschen konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG auf.

Es ist schon allein deshalb von besonderer Wichtigkeit, da das Vorabentscheidungsverfahren 50% der gesamten Verfahren vor dem EuGH ausmacht.

Folge eines Vorabentscheidungsverfahrens ist die Bindung des vorlegenden Gerichts und aller folgenden Instanzen an die Entscheidung des EuGH. Die Nichtigerklärung eines Rechtsaktes entfaltet erga omnes Wirkung.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 267 AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“. Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. sachliche Zuständigkeit

Sachlich zuständig ist ausschließlich der EuGH. Gemäß Art. 256 III S. 1 AEUV ist jedoch in Ausnahmefällen das EuG zuständig. Von dieser Möglichkeit wurde bis jetzt kein Gebrauch gemacht.

2. Vorlageberechtigung

Gemäß Art. 267 II AEUV muss die Vorlage durch ein Gericht eines Mitgliedstaates erfolgen.

Der Begriff „Gericht“ ist dabei unionsrechtlich zu verstehen. Danach muss das Gericht ein auf gesetzlicher (hoheitlicher) Grundlage eingerichteter ständiger Spruchkörper sein, dessen Zuständigkeit obligatorisch ist und der dazu berufen ist, auf der Grundlage eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens in richterlicher (sachlicher) Unabhängigkeit Rechtsstreitigkeiten verbindlich zu entscheiden (EuGH, Rs. 61/65 (Vassen-Göbbels), Slg. 1966, 583, Rn. 2 ff.). Dabei muss das Recht und nicht nur Billigkeit der Entscheidungsmaßstab sein.

3. Gegenstand des Verfahrens und zulässige Vorlagefrage

Was ein zulässiger Vorlagegegenstand sein kann ist in Art. 267 I lit. a und lit. b AEUV normiert. Erforderlich ist in beiden Fällen eine abstrakte Formulierung der Vorlagefrage.

a) Nach Art. 267 I lit. a AEUV entscheidet der EuGH über die Auslegung der Verträge, folglich über das gesamte primäre Unionsrecht.

b) Nach Art. 267 I lit. b AEUV entscheidet der EuGH aber auch über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der in Art. 13 I EUV genannten Unionsorgane, insbesondere über das gesamte sekundäre Unionsrecht, z.B. auch über Stellungnahmen und Empfehlungen. Prüfungsmaßstab ist diesbezüglich das gesamte höherrangige Unionsrecht. Daneben entscheidet der EuGH über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.

4. Entscheidungserheblichkeit

Die Entscheidungserheblichkeit wird nicht vom EuGH überprüft, da diese sich meist nach nationalem Recht beurteilt und der EuGH nicht zur Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts befugt ist. Sie bemisst sich daher vielmehr allein an der Sichtweise des vorlegenden Gerichts, vgl. Wortlaut des Art. 267 II AEUV.

Es werden jedoch auch Grenzen gesetzt: Bei Missbrauch durch konstruierte Vorlagefragen, offensichtlich hypothetischen Fragen oder fehlendem Zusammenhang der Vorlagefrage und dem Ausgangsrechtsstreit darf der EuGH die Zulässigkeit der Vorlagesache überprüfen.

5. Vorlagepflicht

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 267 III AEUV ist sogar eine Pflicht zu Vorlage zum EuGH gegeben: Wird eine zur Vorabentscheidung durch den EuGH berechtigte Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem nationalen Gericht gestellt, dessen Entscheidung innerstaatlich nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann, so ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet. Daher bleiben außerordentliche Rechtsbehelfe, z.B. die Verfassungsbeschwerde, außer Betracht. Ob ein konkretes Rechtsmittel zur Verfügung steht, ist für jeden Einzelfall zu beurteilen. Es kommt also nicht darauf an, dass es abstrakt ein „höheres“ Gericht gibt. Aufgrund des Verwerfungsmonopols des EuGH sind nationale Gerichte zur Vorlage verpflichtet, wenn sie einen Rechtsakt der Union für ungültig halten und ihn daher nicht anwenden wollen. Dies gilt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Vorlagepflicht kann entfallen, wenn die Frage bereits vom EuGH entschieden wurde (acte éclaire) oder wenn die Frage eindeutig zu beantworten ist und somit keine Auslegung erforderlich ist (acte claire) oder es sich um ein nationales Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt.

II. Vorlageentscheidung durch den EuGH

Diesbezüglich wird zwischen Auslegungsfragen und Gültigkeitsfragen unterschieden.

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a) Auslegungsfrage

Bei Auslegungsfragen nimmt der EuGH eine Interpretation des EU-Rechts vor und gibt bestimmte Auslegungskriterien vor. Dies hat zum Ziel, dass das vorlegende Gericht anhand dieser Kriterien die Ausgangssache entscheiden kann.

Eine Entscheidung über eine Auslegungsfrage wirkt ex-tunc und entfaltet faktische Bindung für alle nationalen Gerichte und Behörden.

b) Gültigkeitsfrage

Bei Gültigkeitsfragen überprüft der EuGH die Vereinbarkeit konkreter EU-Rechtsakte mit höherrangigem Recht.

Eine Entscheidung über eine Gültigkeitsfrage wirkt erga omnes, das heißt in diesem Fall für jedes Gericht.

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