Glaubens- und Gewissensfreiheit – Art. 4 GG
Prüfungsschema zu Art. 4 GG, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung, Schranke, Schranken-Schranke, Verhältnismäßigkeit
Das nachfolgende Schema soll eine Übersicht über den Aufbau sowie die wesentlichen Merkmale und Probleme des Grundrechts liefern. In einer Klausur ist im Zweifel nur auf diejenigen Aspekte einzugehen, die für den konkreten Fall relevant sind.
I. Schutzbereich
1. Persönlich
In persönlicher Hinsicht umfasst der Schutzbereich des Art. 4 GG zunächst jedermann, also alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit auch Kinder. Bei Kindern ist allerdings zu beachten, wann sie in der Lage sind die Religionsfreiheit selbst, also ohne oder gegen den Willen ihrer Eltern, geltend machen zu können. Orientiert man sich dabei am Gesetz über religiöse Kindererziehung, so ist die Grundrechtsmündigkeit von Kindern hinsichtlich der Glaubens- und Gewissensfreiheit mit 14 Jahren anzunehmen.
Darüber hinaus umfasst der persönliche Schutzbereich des Art. 4 GG auch Personenvereinigungen, da der Glaube nicht nur persönlich, sondern auch kollektiv ausgeübt werden kann. Unabhängig von der Rechtsfähigkeit oder der -form sind damit auch Kirchengemeinden vom Schutzbereich umfasst. Eine förmliche Anerkennung als Kirche ist damit nicht erforderlich. Da Handels- und Kapitalgesellschaften allerdings grundsätzlich keine dieser religiösen Motive verfolgen, scheiden sie aus dem persönlichen Schutzbereich des Art. 4 GG aus.
2. Sachlich
In sachlicher Hinsicht ist der Schutzbereich des Art 4 GG in einen allgemeinen und in einen konkreten Schutzbereich aufzugliedern. Allgemein betrachtet stellt Art. 4 GG ein einheitliches Grundrecht dar, das zwei Schutzbereiche besitzt: Zum einen dient es dem Schutz der inneren Überzeugungsbildung (forum internum) und zum anderen dem Schutz der Verwirklichung und Betätigung der Überzeugung nach außen (forum externum).
Zur Beurteilung des konkreten Schutzbereichs ist es notwendig, zwischen den einzelnen Absätzen des Art. 4 GG zu differenzieren. Allerdings fallen Art. 4 I GG und Art. 4 II GG mittlerweile zusammen und dienen dem Schutz von Glaube, Religion und Weltanschauung, während Art. 4 III GG die Gewissensfreiheit umfasst. Im Detail enthält der Schutzbereich folgendes:
- Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit (einschließlich der Bekenntnisfreiheit) aus Art. 4 I, II GG lässt sich in einen positiven und einen negativen Schutzbereich untergliedern. Danach wird positiv die Freiheit geschützt, einen Glauben, also eine religiöse Überzeugung oder aber eine Weltanschauung, also eine areligiöse Überzeugung, zu bilden, zu haben, zu äußern und danach zu handeln. In negativer Hinsicht hingegen wird die Freiheit geschützt, einen Glauben oder eine Weltanschauung gerade nicht bekennen zu müssen, diese verschweigen zu können und glaubensbegleitende Handlungen zu unterlassen. Zum Teil waren diese Negationen bereits in Art. 136, 137 der Weimarer Reichsverfassung enthalten und finden heute über Art. 140 GG weiterhin Anwendung.
Unter dem Begriff Glaube ist eine Auffassung über die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehungen zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten zu verstehen. Die Glaubensfreiheit wird grundsätzlich unabhängig von der kulturellen Vorbestimmtheit der Gemeinschaft gewährleistet. Es kommt demnach auch nicht auf die zahlenmäßige Stärke und soziale Relevanz einer religiösen Vereinigung an. Problematisch an dieser sehr weiten Interpretation ist, dass der Schutzbereich konturlos werden würde. Deshalb ist eine Einschränkung des Schutzbereiches notwendig und schützt daher nur, was tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild als Religion zu qualifizieren ist. Nicht geschützt ist folglich ein Handeln, das der Glaube lediglich erlaubt, nicht aber gebietet.
- Die Gewissensfreiheit aus Art. 4 III GG schützt Gewissensentscheidungen. Unter Gewissensentscheidung versteht man jede ernste und sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, sodass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann. Insofern fällt unter die Gewissensfreiheit auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das als lex specialis zu Art. 4 I GG herangezogen werden musste, wenn man den Kriegsdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte.
II. Eingriff
Der Schutzbereich des Art. 4 GG ist betroffen, wenn der Staat Glaubensbetätigungen verbietet oder erheblich erschwert, selbst missioniert oder Handlungen gebietet, die in die negative Glaubensfreiheit oder in die Gewissensfreiheit eingreifen. Eingriffe sind damit generell möglich in das Denken (Beeinflussung von Wertvorstellungen), Reden (Zwang zum Offenbaren/Verschweigen) und Verhalten (Zwang zu bestimmten Handeln/Unterlassen, das gegen verbindliche Wertvorstellungen eines Glaubens, einer Weltanschauung oder eines Gewissens verstößt).
III. Rechtfertigung
1. Schranke
In Art. 4 I, II GG ist keine Schrankenregelung enthalten. Lediglich Art. 4 III GG enthält einen Regelungsvorbehalt durch ein Bundesgesetz, der allerdings nur auf die Kriegsdienstverweigerung Anwendung findet. Vereinzelte Grundrechtsschranken und vor allem ein Vorbehalt der allgemeinen Gesetze finden sich überdies in den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung, die grundsätzlich über Art. 140 GG Anwendung findet. Allerdings lehnt das BVerfG diese Konstruktion in ständiger Rechtsprechung ab und geht vielmehr davon aus, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet werden.
Die scheinbar vorbehaltlos gewährte Glaubensfreiheit darf aber nicht dazu führen, dass andere wichtige Verfassungsgüter oder Grundrechte Anderer unangemessen beschränkt oder beeinträchtigt werden. Deshalb unterliegt auch die Glaubensfreiheit einer verfassungsimmanenten Schranke, wobei man wegen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Grundlage verlangen muss.
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Auch wenn Art. 4 GG im Einzelfall durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, bedeutet dies nicht, dass Art. 4 GG ganz zurücktreten muss. Vielmehr ist eine ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, wobei unter dem Prüfungspunkt der Angemessenheit insbesondere der Aspekt der praktischen Konkordanz der betroffenen Verfassungswerte eine herausragende Rolle einnimmt. Demnach ist ein schonender Ausgleich zwischen den Grundrechten oder sonstigen Verfassungswerten zu suchen, sodass möglichst kein Grundrecht oder Verfassungswert gänzlich zurücktreten muss.
Wie eine ordentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat, kann man in unserem Artikel „Ermessen und Verhältnismäßigkeit“ nachlesen.
Eine Zitierpflicht gem. Art. 19 I 2 GG besteht hinsichtlich von Art. 4 GG, wegen des fehlenden Gesetzesvorbehalts, gerade nicht.
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