Die abstrakte und konkrete Normenkontrolle
Aufbauschemata für die abstrakte und konkrete Normenkontrolle.
Im Folgenden werden der Aufbau der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG) und der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG) erläutert.
I. Die abstrakte Normenkontrolle Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG)
Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle wird durch ein objektives Verfahren überprüft, ob Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht vereinbar ist. Dies ist Art. 93 I Nr. 2 GG zu entnehmen. Was die abstrakte von der konkreten Normenkontrolle unterscheidet ist die Tatsache, dass die abstrakte Normenkontrolle (wie der Name schon sagt) unabhängig von einem konkreten Prozess oder Rechtsstreit durchgeführt wird. Insoweit existiert auch kein Antragsgegner.
II. Schema der abstrakten NK
Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
a. Zuständigkeit des BVerfG (Art. 93 I Nr. 2 GG)
b. Antragsberechtigung (Art. 93 I Nr. 2, § 76 I BVerfGG)
c. Antragsgegenstand
d. Antragsbefugnis (bzw. Klarstellungsinteresse)
e. Form (§ 23 I BVerfGG)
2. Begründetheit
Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle ist begründet, wenn Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist.
III. Schema abstrakte Normenkontrolle mit Erläuterungen
1. Zulässigkeit
a. Zuständigkeit
Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß § Art. 93 I Nr. 2 GG zuständig für die Überprüfung von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht. Hierbei liegt meist kein Problemschwerpunkt in der Klausur.
b. Antragsberechtigung
Gemäß Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG sind nur die Bundesregierung, eine der Landesregierungen oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages antragsberechtigt. Mit dem Begriff der Bundesregierung sind Bundeskanzler und Bundesminister gemäß Art. 62 GG gemeint. Der Bundeskanzler allein – oder auch ein Bundesminister allein – ist also nicht befugt den Antrag zu stellen.
c. Antragsgegenstand
Eine vorbeugende Normenkontrolle ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ausgenommen davon sind Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen soweit nur noch die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten fehlt.
Ansonsten hat das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Norm unter sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen.
Antragsgegenstand kann somit
- jedes Bundes- oder Landesrecht
- geschrieben oder ungeschrieben
- in formeller oder materieller Hinsicht
- und vor- und nachkonstitutioneller Art sein.
Bedingung hierfür ist aber, dass die Norm bereits in Kraft getreten oder zumindest verkündet worden ist.
d. Antragsbefugnis
Nach Art. 93 I Nr. 2 GG ist der Antragssteller antragsbefugt, wenn Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht bestehen.
§ 76 I Nr. 1 BVerfGG stellt höhere Bedingungen an die Antragsbefugnis. Hiernach muss der Antragssteller die Norm für nichtig halten.
Daher vertritt ein Teil der Literatur die Meinung, dass § 76 I BVerfGG verfassungswidrig ist. Andere versuchen die Hürde der höheren Anforderung des § 76 I BVerfGG zu überwinden, indem § 76 I BVerfGG so ausgelegt wird, dass auch hier bloße Zweifel an der Vereinbarkeit genügen. Im Übrigen kann einfaches Gesetzesrecht nicht ein nach der Verfassung bestehendes Antragsrecht einschränken, sodass Art. 93 I Nr. 2 GG wegen dem Geltungsvorrang vorgeht und Zweifel somit ausreichen.
Tipp: In der Klausur ist der Sachverhalt meist unter § 76 I BVerfGG zu subsumieren. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, genügt es die oben genannten Ansichten darzulegen um § 76 I BVerfGG anschließend so weit auszulegen, dass ein Zweifel des Antragsstellers an der Vereinbarkeit genügt.
Über die Antragsbefugnis hinaus verlangt das Bundesverfassungsgericht auch ein Klarstellungsinteresse seitens des Antragsstellers. Dies ist sehr weit gefasst und wird meist nur dann verneint, wenn eine Norm bereits als nichtig erklärt wurde und somit keine Rechtswirkung mehr entfalten kann.
e. Form und Frist
Gemäß § 23 I BVerfGG bedarf der Antrag der Schriftform und muss begründet sein. Eine Frist indes gibt es nicht.
2. Begründetheit
Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle ist begründet, wenn
- Bundesrecht mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, oder
- Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht oder dem Grundgesetz unvereinbar ist.
An dieser Stelle ist die Prüfung eines formell-materiellen Gesetzes am Maßstab des Grundgesetzes vorzunehmen (oder die Prüfung einer Rechtsverordnung auf die Vereinbarkeit mit ihrer Ermächtigungsgrundlage s.u.)
a. Formelle Rechtmäßigkeit
aa. Zuständigkeit
Hierbei ist die Zuständigkeit des Gesetzgebers gemäß Art. 30, 70 ff., 105 ff. GG
bb. Ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren
Bestimmt sich bei Bundesgesetzen gemäß Art. 76 ff. GG.
cc. Form
Bei der Form ist das Zitiergebot gemäß Art. 19 I S. 2 GG zu beachten
b. Materielle Rechtmäßigkeit
aa. Besondere (grundrechtsspezifische) Anforderungen
Hier ist vornehmlich der qualifizierte Gesetzesvorbehalt zu prüfen.
bb. Allgemeine Anforderungen
- Bestimmtheitsgebot
- Verbot von Einzelfallgesetzen, Art. 19 I S. 1 GG
- Verhältnismäßigkeit (Verfolgung eines legitimen Zwecks, geeignet, erforderlich und angemessen)
Ein Problem innerhalb des Prüfungsmaßstabes innerhalb der Begründetheit stellt die Frage dar, ob untergesetzliches Bundesrecht, wie z.B. Satzungen oder Rechtsverordnungen, neben dem Prüfungsmaßstab des Grundgesetzes auch am Maßstab des Bundesrechts überprüft werden kann. Folgt man Art. 93 I Nr. 2 GG so kann Bundesrecht nur am Maßstab des Grundgesetzes überprüft werden. § 76 I Nr. 1 BVerfGG erlaubt jedoch eine Überprüfung von untergesetzlichem Bundesrecht am Maßstab sonstigen Bundesrechts.
Besondere Wichtigkeit erlangt die Frage, wenn es darum geht, ob eine Bundesrechtsverordnung mit ihrer Ermächtigungsgrundlage vereinbar ist. In dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht so entschieden, dass innerhalb der abstrakten Normenkontrolle eine Art „Vorabprüfung“ stattfinden kann. Danach kann eine Bundesrechtsverordnung anhand ihrer Vereinbarkeit mit ihrer Ermächtigungsgrundlage überprüft werden.
3. Ergebnis
Entscheidet das Gericht, dass das angegriffene Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht vereinbar ist, so wird das Gesetz gemäß § 78 S.1 BVerfGG für nichtig erklärt. Die Nichtigkeit wirkt rückwirkend bis zu Erlass des Gesetzes. Dies wirkt sich unterschiedlich aus (§ 79 BVerfGG):
- Nicht mehr anfechtbare Hoheitsakte die aufgrund des für nichtig erklärten Gesetzes ergangen sind, bleiben von der Nichtigkeit unberührt.
- Eine Vollstreckung dieser Hoheitsakte ist allerdings unzulässig
Das Bundesverfassungsgericht kann aber auch von einer solchen Nichtigkeitserklärung absehen und den Gesetzgeber dazu verpflichten das Gesetz verfassungsgemäß zu gestalten. Bei dieser Lösung bleibt die angegriffene Norm bis zum Fristablauf für die neue „überarbeiteten“ Norm gültig.
IV. Die konkrete Normenkontrolle Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
Im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle geht es hier nicht um die allgemeine Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz; hier steht ein konkretes gerichtliches Verfahren im Fokus, indem es um die Wirksamkeit einer Rechtsnorm geht.
V. Schema der konkreten NK
Die Vorlage der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
a. Zuständigkeit Art. 100 I GG
b. Vorlageberechtigung
c. Vorlagegegenstand
d. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
e. Entscheidungserheblichkeit
f. Form und Frist
2. Begründetheit
Die Vorlage ist begründet, wenn die Norm, auf deren Gültigkeit es im Ausgangsverfahren ankommt, nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
VI. Schema konkrete Normenkontrolle mit Erläuterungen
1. Zulässigkeit
a. Zuständigkeit
Bei der Zuständigkeit für die konkrete Normenkontrolle sind zwei Varianten zu unterscheiden:
- Das Landesverfassungsgericht ist gemäß Art. 100 I S.1 Var. 1 GG zuständig, wenn ein Gericht ein Landesrecht mit der entsprechenden Landesverfassung für unvereinbar hält. In diesem Fall ist keine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegeben.
- Hält ein Gericht jedoch Bundesgesetzt mit dem Grundgesetz für unvereinbar (Art. 100 I S.1 Var.2 GG) oder ein Landesgesetz mit dem Grundgesetz (Art. 100 I S.2 Var.1 GG) oder ein Landesgesetz mit Bundesrecht (Art. 100 I S.2 Var.2 GG) so ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.
b. Vorlageberechtigung
Vorlageberechtigt bzw. vorlageverpflichtet (!) sind gemäß Art. 100 I S. 1 GG Gerichte. Hiermit sind alle Gerichte gemeint (auch Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Ehrengerichte).
c. Vorlagegegenstand
Der vorlagefähige Gegenstand ist ein Gesetz. Auch dies ergibt sich aus Art. 100 I GG. Hiermit sind allerdings nicht alle Gesetze gemeint. Die Vorlagefähigkeit ist beschränkt auf
- formelle und
- nachkonstitutionelle Gesetze.
Die Beschränkung auf nachkonstitutionelle Gesetze ist allerdings nicht absolut. Wird ein vorkonstitutionelles Gesetz maßgeblich verändert oder verweist der Gesetzgeber in einem nachkonstitutionellen Gesetz auf ein vorkonstitutionelles oder wird ein vorkonstitutionelles Gesetz neu verkündet, so ist dieses auch ein tauglicher Vorlagegegenstand.
d. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
Das Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein. Im Gegensatz zu der Antragsbefugnis bei der abstrakten Normenkontrolle wird an diese Zulässigkeitsvoraussetzung eine sehr hohe Anforderung gestellt. Die reinen Zweifel an der Verfassungswidrigkeit genügen hier nicht. Das Gericht muss sich demnach intensiv mit der (möglichen) Verfassungswidrigkeit der Norm auseinandersetzen. Besteht dabei die Möglichkeit die Norm auch verfassungsgemäß auszulegen (zu berücksichtigen sind dabei alle in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungen), so ist eine Vorlage unzulässig.
Gelangt das Gericht nach intensiver Prüfung jedoch zu der Überzeugung, dass die entsprechende Norm verfassungswidrig ist, so muss dies in der Vorlage gemäß § 80 II BVerfGG begründet werden.
e. Entscheidungserheblichkeit
Aufgrund der Tatsache, dass sich die konkrete Normenkontrolle auf ein aktuelles Ausgangsverfahren bezieht, muss die vorgelegte Norm auch entscheidungserheblich sein. Das bedeutet konkret, dass das Verfahren bei Nichtigkeit der vorgelegten Norm eine andere Wendung nimmt. Hierbei kommt es eigentlich nur auf die Entscheidung im Endurteil an. Für Zwischenurteile ist die Norm nur dann entscheidungserheblich, wenn das Zwischenurteil für das weitere Verfahren eine erhebliche Bedeutung hat.
Auch hiermit muss sich das vorlegende Gericht intensiv auseinandersetzen und die Entscheidungserheblichkeit in dem Vorlagebeschluss darlegen.
Das Bundesverfassungsgericht macht allerdings in der Hinsicht eine Ausnahme, dass die Entscheidungserheblichkeit entbehrlich ist, wenn die Vorlage des entsprechenden Gesetzes von grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl und die Entscheidung deshalb dringlich ist. Diese Ausnahme ist allerdings sehr eng auszulegen.
f. Form und Frist
Gemäß § 80 I, II S. 1 BVerfGG muss der Vorlagebeschluss begründet werden und es sind die Gerichtsakten hinzuzufügen. Wie bereits erwähnt, müssen in der Begründung die Entscheidungserheblichkeit und die Verfassungswidrigkeit enthalten sein.
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Bei Amazon kaufen2. Begründetheit
Wie schon bei der abstrakten Normenkontrolle überprüft hier das Gericht, ob die entscheidungserhebliche Norm verfassungswidrig ist (s.o.).
Auch im Hinblick auf die Entscheidung kann das Gericht die Norm entweder für nichtig erklären, oder den Gesetzgeber zur verfassungsgemäßen Abänderung der Norm verpflichten. Auch hier bleibt die vorgelegte Norm gültig, bis die Frist zur Abänderung abgelaufen ist.
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