Mobiliarsachenrecht – Anspruchsgrundlagen und Konkurrenzen
Anspruchsgrundlagen und Konkurrenzen im Mobiliarsachenrecht; Übersicht über die Prüfungsreihenfolge; Sperrwirkung des § 993 I HS. 2 BGB und Ausnahmen der Sperrwirkung
Wer das Sachenrecht zum ersten Mal erarbeitet, hat das Gefühl, vor einem komplexen Regelungsgefüge zu stehen. Schnell tritt ein Gefühl der Überforderung ein. Besondere Schwierigkeiten bereitet dabei neben der Kenntnis der wichtigsten Anspruchsgrundlagen auch das Konkurrenzverhältnis der Normen, wenn eine Vindikationslage (Anspruchssteller ist Eigentümer, Anspruchsgegner Besitzer ohne Recht zum Besitz) ins Spiel kommt. Der Beitrag hilft hier mit einer stark abstrahierten Schablone im Rahmen des gängigen Prüfaufbaus weiter, indem er eine Sortierung bietet und auf etwaige Anwendbarkeitsprobleme im Mobiliarsachenrecht hinweist.
Jura Individuell Tipp: Am besten findet man die richtige Anspruchsgrundlage, wenn man sich alle wichtigen Anspruchsgrundlagen im Mobiliarsachenrecht notiert und diese in ein Gefüge bringt. Dieser Jura Individuell- Beitrag soll dabei als Tableau denkbarer Rechtsfolgen helfen. Er ist für die Klausur im Mobiliarsachenrecht „vorsortiert“.
I. Vertragliche Ansprüche
In der Regel werden in der Klausur kaum vertragliche Ansprüche durchgehen, weil man sonst eine Schuldrechtsklausur hätte. In der Sachenrechtklausur holt man Punkte, wenn man solche Ansprüche zwar andenkt, dann aber recht schnell wieder verwirft. Vollständiges und genaues Arbeiten wird gerne gesehen.
1. Herausgabe: § 604 IV BGB
Diese Anspruchsgrundlage ist oft unbekannt, wird aber bei Leihverträgen relevant.
2. Schadensersatz: §§ 280 ff. BGB
Diese Ansprüche sind eher nicht zu erwarten. Denn dazu müsste ein Vertrag zwischen den Parteien bestanden haben, was in den üblichen Fällen zum Mobiliarsachenrecht eher nicht der Fall sein dürfte.
II. c.i.c.
In der Regel ist die c.i.c. in der Sachenrechtklausur weniger zu erwarten.
III. Geschäftsführung ohne Auftrag
1. Schadensersatz §§ 687 II, 678 BGB
2. Abschöpfen des Gewinns: §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB
Hier keine Sperre durch § 993 I Hs. 2 BGB im Falle des Vorliegens einer Vindikationslage entgegen dem Wortlaut der Norm (Schadensersatz). Grund: Angemaßte Eigengeschäftsführung ist nicht schutzwürdig und unterfällt daher nicht der sogenannten „EBV-Sperre“.
Beim Abschöpfen des Gewinns ist zudem an § 816 I BGB als weitere Anspruchsgrundlage zu denken (siehe unten).
IV. Dingliche Ansprüche
1. Herausgabe aus Eigentum: § 985 BGB
2. Herausgabe aus Besitz: §§ 861 (869), 1007 I, 1007 II BGB
3. Schadensersatz: §§ 989, 990 oder § 989
Hier ist auf die verschiedenen Zeitpunkte zu achten, bei denen die Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen: Es muss zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung eine Vindikationslage vorgelegen haben. Das ist hier der Zeitpunkt, in dem der Schaden eintritt. Die Bösgläubigkeit bei § 990 BGB hingegen muss schon zum Zeitpunkt der Besitzerlangung der Sache vorgelegen haben!
4. Nutzungsersatz: §§ 987, 990 BGB oder § 987 BGB
Der Anspruchssteller begehrt hier (Eigentümer) Ersatz für die Nutzungen, die der Besitzer in der Zeit seines Besitzes aus der Sache ziehen konnte.
5. Unterlassung aus Eigentum: § 1004 I BGB
Jura Individuell Tipp: Eine weitgehend unbekannte Anspruchsgrundlage aus dem Mietrecht sollte man hier ebenfalls zur Kenntnis nehmen: § 541 BGB. Dies natürlich nur bei Vorliegen eines Mietvertrags.
6. Unterlassung aus Besitz: § 862 BGB
Jura Individuell Tipp: Unterscheiden Sie stets nach Herausgabe– und Unterlassungsansprüchen aus Eigentum und aus Besitz. Manchmal greifen Sie in der Klausur parallel, manchmal nicht. Dies hängt von der Konstellation des Falles ab.
V. Deliktische Ansprüche
1. Schadensersatz: § 823 I BGB
Achtung! Hier gibt es ein wichtiges Problem. Wegen § 993 I Hs. 2 BGB ist immer die Anwendbarkeit dieser Norm zu prüfen! Denn § 993 I Hs. 2 BGB schließt außerhalb des EBV grundsätzlich andere Schadensersatzansprüche wie diesen hier aus. Grundsätzlich ist § 823 BGB also bei Vorliegen eines Vindikationslage gesperrt! Zu den Ausnahmen siehe unten. Sofern man – wie in Bayern oder Niedersachsen- noch vereinzelt Paragraphen kommentieren darf, empfiehlt es sich sehr, sich den § 993 I Hs. 2 BGB am Rand von § 823 I BGB zu notieren.
2. Schadensersatz: § 823 II BGB i.V.m. Strafgesetz
Auch hier ist stets die Anwendbarkeit bei Vorliegen einer Vindikationslage zu prüfen! Hier sperrt § 993 I Hs. 2 BGB nicht, wenn durch die strafbewehrte Handlung der Besitz an der Sache erlangt wurde, § 992 BGB!!
3. Schadensersatz: § 826 BGB
Eine Sperrung durch § 993 I Hs. 2 BGB erfolgt hier nicht, da § 826 BGB eine der anerkannten Ausnahmen zu § 993 I Hs. 2 BGB ist! Hintergrund: Bei Fallgestaltungen mit § 826 BGB ist der Anspruchsgegner nicht schutzwürdig.
VI. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
1. Herausgabe der Sache selbst: § 812 I BGB
Hier ist doppelt aufzupassen!! Zuerst ist wieder die Anwendbarkeit der Norm wegen § 993 I Hs. 2 BGB im Falle des Vorliegens einer Vindikationslage zu prüfen. Geht es aber allein um die Herausgabe der Sache selbst, so tritt nach § 993 I Hs. 2 BGB gerade keine Sperrung ein!
Grund: Wortlaut des § 993 I Hs. 2 BGB und sein Sinn und Zweck: Die Herausgabe der Sache selbst wird niemals von dieser Norm gesperrt! Das ist nicht die Absicht der §§ 987 ff. BGB, da § 985 BGB ja gerade darüber entscheidet, ob die Sache herausgegeben werden muss oder nicht.
Danach muss man regelmäßig eine Eingriffskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB) prüfen, da der Anspruchsteller bei Herausgabeklausuren oftmals nicht in direkter vertraglicher Beziehung mit dem Anspruchsgegner steht. Hier muss dann im Prüfungspunkt „in sonstiger Weise“ zur Leistungskondiktion abgegrenzt werden. Hat der Anspruchsgegner aber vertragliche Beziehungen mit einer anderen Person, so wird die Eingriffskondiktion grundsätzlich gesperrt sein. Eine Ausnahme kann sich aber in Sachenrechtsklausuren aus der Wertung des § 935 BGB ergeben. Dies ist der Fall, wenn dem Anspruchssteller die Sache gestohlen wurde. Dann soll er trotzdem durchgreifen dürfen.
2. Herausgabe von Nutzungen § 812 I BGB
Achtung! Im Falle des Vorliegens einer Vindikationslage sperrt hier der § 993 I Hs. 2 BGB das Kondiktionsrecht, wenn der Anspruchsteller nur Nutzungen herausverlangt!
Grund: Wortlaut des § 993 I Hs. 2 BGB! Bei der Anwendung des § 812 I BGB ist also Vorsicht geboten, je nachdem ob Nutzungen oder die Sache selbst verlangt werden.
2. Herausgabe des Surrogats (Gewinn): § 816 I BGB
Hier kann der Anspruchsteller einen Gewinn des Anspruchsgegners abschöpfen.
Jura Individuell Tipp: Gibt es hier auch eine Sperre durch § 993 I Hs. 2 BGB? Nein! Denn wenn die Voraussetzungen des § 816 I BGB vorliegen, dann liegt eine wirksame Verfügung des Anspruchsgegners vor. In diesem Fall ist der Anspruchsteller schon gar kein Eigentümer mehr. Damit kann auch keine Vindikationslage mehr vorliegen, was die Anwendbarkeit von § 993 I Hs. 2 BGB ausschließt! § 816 I BGB „geht also immer“.
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Bei Amazon kaufenAbschließender Hinweis zu den Ausnahmen der Sperrung durch § 993 I Hs. 2 BGB
Man sollte sich folgende vier Ausnahmen merken:
1. § 992 BGB
2. § 687 II BGB
3. § 826 BGB
4. Fremdbesitzerexzess
In all diesen Fällen ist der Anspruchsgegner trotz Vorliegens einer Vindikationslage nicht schutzwürdig. Er muss deshalb auch Anspruchsgrundlagen außerhalb der §§ 987 ff. BGB gegen sich gelten lassen!
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