Jura Repetitor – Unterricht mit Tradition
Der Job als Repetitor im Laufe der Jahrhunderte: Woher kommt die Tradition & inwiefern hat sie sich weiterentwickelt, welche Probleme bestehen seit damals?
Jedermann weiß, dass der Repetitor aus der heutigen juristischen Ausbildung kaum wegzudenken ist. Doch wie lange gibt es Repetitorien bereits und welche Rolle haben sie früher gespielt? Dass sie nicht erst seit neuester Zeit stattfinden, belegt dieser Eintrag aus Meyers Großem Konversations-Lexikon um 1900:
Repetént (Repetitor, lat.), »Wiederholer«,
an Universitäten und höhern Unterrichtsanstalten ein Dozent, der die Studenten durch Wiederholung (Repetition, Repetitorium) fürs Examen vorbereitet; früher besonders an Klosterschulen übliche Bezeichnung und so heute noch Titel der jüngern Lehrer des 1537 gegründeten evangelisch-theologischen Seminars in Tübingen und ähnlicher theologischer Konvikte etc. – In Frankreich Maître répétiteur, Unterlehrer an Lyzeen etc., neben den höher gestellten Maîtres de conférences oder d’étude, d. h. vortragenden Hauptlehrern; an den Hochschulen dagegen ist Répétiteur der Titel eines examinierenden Professors.
In der gewöhnlich gelehrten Rechtsgeschichte ist von juristischem Privatunterricht nicht die Rede. Hier muss man schon genauer nachforschen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der Fokus liegt dabei zum größten Teil auf der Entwicklung in Brandenburg-Preußen, aus dem das spätere Deutsche Reich und ein Großteil der heutigen deutschen juristischen Grundordnung hervorgingen.
Mittelalterliche Anfänge
Der Repetitor bzw. seine Institution reicht bis ins späte Mittelalter zurück. Seit Beginn der mittelalterlichen Universitätsausbildung, deren zentraler Bestandteil bereits damals das Studium der Rechte war, bestand ein Nebeneinander von universitärer und privater Juristenausbildung. Beeinflusst war dies durch die als Vorbild dienenden italienischen Universitäten. Zur zeitlichen Einordnung sei erwähnt, dass die älteste neuzeitliche Universität in Bologna bereits um 1088 ihre Tätigkeit aufnahm. Demgegenüber wurden die ersten deutschen Universitäten zum Ende des 14. Jahrhunderts gegründet (Heidelberg 1386, Köln 1388, Würzburg 1402).
Der erste juristische Privatunterricht in Deutschland ist für das Ende des 14. Jahrhunderts nachweisbar. Eine repetitio der Vorlesungen zur Prüfungsvorbereitung fand sowohl von Seiten der Universität wie auch aus privater Hand statt. Ein frühes Beispiel aus Köln war das Collegium iuridicum. Dieses wurde im Jahre 1530 durch Initiative von Studenten zur Ergänzung der Universitätsausbildung gegründet, nachdem Klagen über Mängel der bisherigen Ausbildung laut geworden waren. Es stand unter dem Vorsitz eines dictators, der in Köln immatrikuliert und promoviert sein musste, und fand zahlreiche Nachahmer. Schon damals erfreuten sich diese Privatvorlesungen trotz ihrer Kostenpflichtigkeit steigender Beliebtheit. Denn die Universitäten brachten oft nicht genug Stoff in ihren Vorlesungen unter. Wiederholte Verbote blieben wirkungslos.
Der Repetitor heute und früher – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Der Privatunterricht erfolgte damals wie heute in erster Linie zur Prüfungsvorbereitung: durch Wiederholung bzw. Ergänzung des Stoffes der Vorlesung sowie direkte Schulung in schriftlicher und mündlicher Prüfung. Die Methoden der damaligen Zeit unterschieden sich jedoch wesentlich von den heutigen. Früher war der Repetitor hauptsächlich „Einpauker“, der nicht Fähigkeiten zur Bewältigung juristischer Aufgabenstellungen vermittelte, sondern positives Wissen und kasuistische Antworten zur unmittelbaren Prüfungsvorbereitung.
Entwicklung bis zum 19. Jahrhundert
Einführung von Staatsprüfungen 1693
Die Geburtsstunde der modernen Repetitorien fällt vermutlich ungefähr mit der Einführung des preußischen professionellen Staatsdienstes und den dazugehörigen Staatsexamina im Jahre 1693 zusammen. Hatten die jeweiligen Universitäten die Prüfungen bislang nach ihren eigenen Regeln durchgeführt, so trat jetzt eine einheitliche Staatsprüfung an ihre Stelle. 1748 erfolgte die Einrichtung des staatlichen Vorbereitungsdienstes, der bis heute in seinen Grundzügen erhalten blieb. Zunächst gab es drei Staatsprüfungen: 1. Examen zum Auskultator (lat. Zuhörer), 2. Examen zum Referendar, 3. Examen (Große Prüfung) zum Richteramt. Auch damals gingen viele Kandidaten zu Privatlehrern (Repetenten), deren Dienste auch so prominente Juristen wie Johann Wolfgang von Goethe, der beim Reichskammergericht in Wetzlar Karriere machte, und der nachmalige preußische Reformer Karl August von Hardenberg in Anspruch nahmen.
Neues Recht im Jahr 1794
Die Einführung des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten im Jahr 1794, welches das bis dahin gültige gemeine (römische) Recht ablöste, stellte eine deutliche Zäsur für die Juristenausbildung in Preußen dar. An den Universitäten wurde das neue Recht kaum gelehrt. Stattdessen wurde weiterhin fast ausschließlich römisches Recht gelesen. Dieses war zwar immer noch weithin verbreitet, kam aber langsam außer Gebrauch. Selbst der berühmte Savigny setzte zu Beginn seiner Karriere vollständig auf das tradierte römische Recht. Das Allgemeine Landrecht, das er als „in Form und Materie… eine Sudeley“ bezeichnete, ließ er außen vor. An der Universität sollte Wissenschaft gelehrt werden, nicht Praxis. Und das geltende Recht erschien dafür zu unelegant und grobschlächtig. Erst später hielt Savigny als einer der ersten Professoren überhaupt Vorlesungen zum geltenden Recht. Doch die Praxis dieser Zeit sah so aus, dass die Referendare in die Ausbildung eintraten, ohne das geltende Recht zu kennen.
Privatunterricht verdrängt Universitätsausbildung
Dies führte zu einer starken Ausweitung des Privatunterrichts in Preußen, der bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Universitätsausbildung fast komplett ersetzte. Angehende Juristen eigneten sich die für die Examina erforderlichen Kenntnisse oft ausschließlich bei den „Einpaukern“ an und bekamen das Innere eines Hörsaals nie zu Gesicht. Erleichtert wurde dies durch eine extrem kurze Regelstudienzeit und eher mäßige Prüfungsanforderungen im ersten Examen. Hier war die Durchfallquote vernachlässigbar und eine kurze Intensivvorbereitung genügte.
Auch der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler Otto von Bismarck gab an, er sei „vom Einpauker zugeritten“ worden, um sein Auskultator-Examen zu bestehen. Dort stand das kasuistische Lernen von Antworten auf bestimmte Fragen weiterhin im Vordergrund. Und da die bei den Gerichten zugelassenen Prüfer zur Abnahme einer Prüfung oft nur wenig befähigt waren und stur einen immer gleichen überschaubaren Fragenkatalog abarbeiteten, wurden die Prüflinge nicht selten „auf den Mann abgerichtet“ (ad hominem), sprich genau auf diesen Fragenkatalog gedrillt. Dabei kamen die für Juristen erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten begreiflicherweise zu kurz. Doch zum Bestehen der Prüfung taugte das Eingepaukte allemal.
Die Prüfung konnte zudem an jedem Gericht in Preußen abgenommen werden. Daher herrschte bei Gerichten mit berechenbaren und milden Prüfern starker Andrang. Um 1861 empfand ein Prüfling das erste Examen geradezu als Farce, da die Prüfung mit der Rechtswissenschaft herzlich wenig zu tun hatte.
Die „Schnellassessorenfabrik“
Mitte des 19. Jahrhundert entstand in Baumgartenbrück bei Potsdam als herausragendes Beispiel die berühmte „Schnellassessorenfabrik“ des Rechtsanwalts Dr. August Theodor Förstemann. Sie existierte von etwa 1850 bis 1878 und wurde so weithin bekannt, dass sie auch in Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ Erwähnung fand. Dort erfolgte eine intensive, mehrwöchige Vorbereitung auf die dritte, große Staatsprüfung, die zentral in Berlin abgenommen wurde. Die Hörer wohnten in der nahegelegenen Ortschaft Neu-Geltow und waren so zahlreich, dass Wohnraum oft knapp war. Die Vorbereitung war in sehr starkem Maße auf die Person der Prüfer und ihre bevorzugten Fragen ausgerichtet. Denn diese hatten extrem lange Dienstzeiten und wurden kaum je ausgetauscht.
Kernstück der Anstalt war der sog. Codex Aureus, eine Protokollsammlung, die schließlich die Prüfungsfragen der letzten zwanzig Jahre enthielt. Sie wurde ständig durch die Referendare, welche die Prüfung bereits absolviert hatten, aktualisiert – nicht unähnlich den Protokollen bei heutigen Examina. Der Einfluss dieses Repetitoriums kann kaum unterschätzt werden. Denn praktisch jeder angehende Jurist, der die große Prüfung ablegte, ließ sich dort vorbereiten. Und wenigstens einem Kandidaten wurde es von den Prüfern geradezu zum Vorwurf gemacht, dass er das unterließ. So ging praktisch der gesamte gehobene Beamtendienst und die Richterschaft Preußens – und nicht allein Preußens – zu irgendeinem Zeitpunkt dieser Epoche durch dieses Repetitorium.
Leere Hörsäle
Die Justizreform von 1869 ließ die zweite der drei Prüfungen entfallen, die ohnehin stetig an Bedeutung verloren hatte. Und mit Einführung eines einheitlichen Gerichtsverfassungsgesetzes für das neugeschaffene Deutsche Reich im Jahr 1877 stand die Juristenausbildung in den heute noch gültigen Grundzügen fest: Universitätsausbildung mit erstem Examen, dann Referendariat und zweites Examen zum Einheitsjuristen mit Befähigung zum Richteramt.
Versuche die universitäre Ausbildung aufzuwerten
Das Universitätsstudium war weiterhin so gut wie bedeutungslos. Viele Examenskandidaten waren nie bei einer Vorlesung gewesen. Sie erkannten ihre eigenen Professoren nicht, wenn sie ihnen begegneten. Die Ausbildungsmisere an den Universitäten wurde in der Öffentlichkeit stark diskutiert. Erste Schritte zur Abhilfe umfassten daher die Einführung der Notwendigkeit von Vorlesungsnachweisen um 1844. Diese fanden aber in der Praxis keine Beachtung. Ferner wurden bereits seit 1830 Anläufe zur probeweisen Beteiligung von Professoren an der Prüfung gestartet, die aber erst um 1865 verankert wurde. Auf den Universitäten beschäftigte man sich weiterhin fast ausschließlich mit dem römischem Recht und nicht mit der juristischen Praxis oder dem geltenden Recht. Beides blieb den Repetitorien und den staatlichen Ausbildern überlassen.
Höhere Anforderungen im zweiten Staatsexamen
Wurde das erste Staatsexamen auch oft lasch gehandhabt, so stiegen die Anforderungen im zweiten Examen dramatisch an. Dies schlug sich in hohen Durchfallquoten nieder. 1855 waren es nicht weniger als 45%. Aber auch dort herrschte ein eher statischer Fragenkatalog vor. Und der Schwerpunkt lag eher auf schnell einzupaukendem Wissen als auf juristischen Kenntnissen, was die bereits erwähnte „Schnellassessorenfabrik“ zu ihrem Vorteil ausnutzte. Mit Einführung des BGB im Jahre 1900 führten die Universitäten auch endlich neue Vorlesungen zum geltenden Recht ein, die aber an der Dominanz der Repetitorien wenig änderten. Es herrschte weiterhin eine „blühende wissenschaftliche Tätigkeit bei leeren Hörsälen“. Die eigentliche Juristenausbildung blieb weiterhin weitgehend den „Einpaukern“ und den Praktikern überlassen.
Um die Jahrhundertwende kam ein neuer Typ von Repetitorien auf, die vom bloßen Einpauken kasuistischen Wissens und auf den Prüfer zugeschnittener Antworten zum Vermitteln von Fertigkeiten und Strukturen übergingen, d.h. Unterricht gaben, der den Namen verdiente. Einige bekannte Namen aus dieser Zeit waren Rechtsanwalt Pabst aus Halle, Walter Pollack aus Berlin, Dr. jur. Kießlich aus dem seinerzeit weithin bekannten Repetitorium des Dr. Aßmann sowie Dr. jur. Hans Christoph Hirsch, Rechtsanwalt in Halle. Ihre Motivation rührte dabei laut Kießlich vor allem aus der Liebe zur Lehrtätigkeit her, wenn auch ihr Einkommen das der „Einpauker“ weit überstieg.
Die ersten modernen Repetitorien
Es ist erstaunlich, wie aktuell die zur letzten Jahrhundertwende erhobene Kritik an der Universitätsausbildung noch heute ist. Bedeutsam war dafür besonders die 1912 erschienene Schrift „Die Notwendigkeit und die Gefahren juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien“ von Dr. jur. Hirsch. Der Repetitor vertrat darin die Ansicht, dass das Universitätsstudium trotz der Erschwerung der Prüfungen und der Reformen an den Universitäten der Ergänzung durch den Privatunterricht weiterhin dringend bedürfe. Dies schrieb er hauptsächlich den Unvollkommenheiten der Universitätsausbildung zu, welche u.a. von der Stellung der Professoren und ihren Aufgaben ausgehe. Es sei fast unmöglich, gleichzeitig erfolgreicher Lehrer und Forscher zu sein. Denn dazu sei „eine Riesenarbeitskraft“ erforderlich, die den meisten Hochschullehrern nicht gegeben sei. Die Karriere eines Professors als Wissenschaftler hänge ganz wesentlich von den Veröffentlichungen ab. Deren Erstellung sei sehr zeitaufwendig. Daher gebe der Professor im Zweifel dieser den Vorzug, womit Lehr- und Forschungstätigkeit sich voneinander getrennt hätten.
Sein Kollege Pabst fügte hinzu, dass das sich immer weiter verschlechternde Verhältnis zwischen Professoren und Studenten eine eingehende Ausbildungstätigkeit zunehmend unmöglich mache. Der Massenbetrieb mit der einzig verbliebenen Lehrmethode der Vorlesung, die meist nur in eine Richtung gehe, sei laut Pabst ein „schwerer pädagogischer Missgriff“. Mit der eigentlich erforderlichen konversatorischen Methode sei er nicht zu vergleichen. Der Student wirke lediglich rezeptiv am Unterricht mit. Er sei lediglich Objekt des Unterrichts. Die an sich lobenswerten Übungen litten unter einer viel zu hohen Teilnehmerzahl. Hirsch sprach sich für das Erfordernis eines staatlichen Befähigungsnachweises für Repetitoren aus. Der Repetitor solle mit dem Titel „Rechtslehrer“ belohnt werden. Er ging jedoch noch weiter. So forderte er neben der fachlichen Qualifikation auch ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl, wie etwa das Absehen vom Schüren und Verbreiten sogenannter „Examenspsychosen“ und Examenslegenden, welche böse Zungen schon immer als wesentliche Triebfeder der Studenten zum Besuch des Privatunterrichtes gesehen hatten.
Kritik der Professoren
Damit traten die Repetitorien, die bislang stets im Hintergrund gewirkt hatten, erstmals auch im Schrifttum in Erscheinung. Sie zeigten sich auch von einer anderen Seite als die altbekannten „Einpauker“, denen kein wissenschaftlicher Anspruch zukam. Entsprechend äußerten sich die Professoren erstmals öffentlich zu ihrer privatwirtschaftlichen „Konkurrenz“. Dies führte wiederum zu einer scharfen Auseinandersetzung im Schrifttum. Kritische Stimmen kanzelten den Privatunterricht pauschal als Einpaukerei alten Stils ab. Als Ursache des anhaltenden Zulaufs der Repetitorien führten sie die Faulheit der Studenten, ihre „Bummelkrankheit“, an. Andererseits wurde durchaus ein Bedürfnis der Wiederholung des in den Vorlesungen erlernten Wissens erkannt.
Der juristische Privatunterricht neuer Prägung wurde jedoch ambivalent gesehen, teils als wertvolle Ergänzung, teils als Versuch, die Universitätsausbildung ganz abzuschaffen. Der Königsberger Professor Litten, der diese Klage führte, erkannte zwar viele der von Dr. Hirsch angeführten Mängel der Universitätsausbildung an. Er bezeichnete aber das Erfordernis eines Elementarunterrichts der juristischen Grundbegriffe als dem Studium nicht angemessen und als „Pädagogium für Willensschwache und Zurückgebliebene“. Den eigentlichen Grund der hohen Frequentierung des Privatunterrichtes sah Litten in dem Umstand, dass gerade angehende Juristen oft begüterten Häusern entstammten und stark in Verbindungen vertreten seien. Daher könnten sie sich Privatunterricht leisten und bedürften seiner in ihrer Eigenschaft als Verbindungsmitglieder mit ihrem notorischen Hang zur Vernachlässigung ihres Studiums auch dringend.
Entwicklung bis 1933
In der Sache änderte diese Diskussion freilich wenig und die Hörsäle blieben weiterhin leer. Daran änderten auch die 1908 eingeführten Klausurarbeiten im Examen nichts. Auch nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Bedeutung der Repetitorien eher zu als ab. Und im Jahr 1922 wurde berichtet, dass 90 % der Studenten ihre Kenntnisse beim Repetitor erhielten, 10% durch die Arbeit mit ihren Kommilitonen, niemand im Hörsaal. Reformbestrebungen der Weimarer Zeit blieben fruchtlos. Es begannen sich Stimmen zu mehren, welche die Einbeziehung der Repetitoren in den Universitätsbetrieb forderten. Das blieb dann bei der Studienreform von 1931 zwar aus. Jedoch wurde die Einrichtung von Repetitorien seitens der Universitäten angedacht.
Allerdings reagierte der Staat durchaus auf die Ausbildungsmisere und veränderte die Prüfungsanforderungen. Statt in der bloßen Wiederholung der immer gleichen Fragen und dem Abfragen positiven Wissens zu verharren, gingen die Prüfer dazu über, ad hoc Fälle zu konstruieren, welche die Beherrschung juristischer Fertigkeiten und nicht nur fertig eingetrichterte Antworten verlangten. Der kurzfristige Examensdrill der „Einpauker“ alter Schule und das „Abrichten“ auf den Prüfer wurden zunehmend durch die Repetitorien neuer Prägung verdrängt, überlebt aber in reduzierter Form bis heute in den Examensprotokollen.
Der Repetitor im „Dritten Reich“
In der Zeit der NS-Diktatur veränderte sich mit der Gleichschaltung aller Lebensbereiche und dem Einschwören auf die nationalsozialistische Weltanschauung nicht nur die Jurisprudenz, sondern auch die juristische Ausbildung und mit ihr die Repetitorien. Ziel war jetzt nicht mehr die Schaffung von unabhängig denkenden Wissenschaftlern, Anwälten oder Richtern, die der Rechtsordnung und den Bürgern verpflichtet waren. Man wollte einen auf nationalsozialistische Gesinnung und Linientreue eingeschworenen Pflichterfüller, den sogenannten „Rechtswahrer“.
Die Juristenausbildung an den Universitäten war trotz immer weiter zunehmenden Drucks bis auf die nationalsozialistisch durchdrungenen Bereiche des Staats- und Verwaltungsrechtes oftmals erstaunlich wenig von der Diktatur betroffen. Die Prüfungs- und Klausuraufgaben glichen denen von vor der Diktatur. Und viele Repetitoren taten es ihnen nach.
Repetitorien existierten durch die ganze Zeit der Diktatur hindurch. Z.B. betrieb der nachmalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger während der ganzen zwölf Jahre ein Repetitorium. Obwohl später wegen seiner Verwicklungen mit den Machthabern kritisiert, gab er an, in seinen Kursen das Lehren nationalsozialistischer Gesinnung vermieden und selbst nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 noch das Recht auf Widerstand gelehrt zu haben. Auch der nachmalige Münsteraner Professor Dr. Harry Westermann wurde als Repetitor tätig, nachdem die Nationalsozialisten ihm eine anwaltliche Tätigkeit nicht gestatten wollten. Dies hielt er für eine völlige Verkennung des Repetitorberufes. Denn dieser gestattet wohl tatsächlich eine wesentlich stärkere Einflussnahme auf die Zukunft der Rechtspflege als fast jede sonstige Tätigkeit.
Die rassistische und menschenverachtende Grundhaltung der Nationalsozialisten machte jedoch auch vor den Repetitoren nicht halt. So verboten die Nürnberger Rassegesetze jüdischen Juristen neben jeglicher, auch untergeordneter Tätigkeit in jedem Bereich der Rechtspflege auch die Tätigkeit als Repetitor. Und jeder Examenskandidat musste versichern, keinen jüdischen Repetitor in Anspruch genommen zu haben.
Neubeginn und Auftreten der Großrepetitorien
Eines der ersten Repetitorien, das nach dem Krieg in Tätigkeit trat, war das später zum Großrepetitorium gewordene des Dr. Paul Schneider in Bonn. Aufgrund der umfangreichen Kriegszerstörungen und der damit einhergehenden Raumnot residierte es pikanterweise einige Zeit im gleichen Gebäude wie die juristische Fakultät der Universität. Der Zulauf beim Repetitor nahm auch nach Gründung der Bundesrepublik 1949 nicht ab. Und Anfang der 70er Jahre wurde erneut die Einbeziehung der Repetitorien in die Universitätsausbildung angedacht. U.a. aufgrund des Widerspruchs von Professor Dieter Medicus nahm man hiervon jedoch wieder Abstand.
Mit der rasanten Entwicklung der jungen Bundesrepublik entwickelte sich auch ein neuer Repetitoriumstyp. Während früher der örtliche Repetitor die Regel gewesen war, der fast ausschließlich an seinem Wohnort lehrte, traten zunehmend überregional agierende Großrepetitorien auf den Plan. Diese arbeiten im Franchise-Verfahren. Der Münsteraner Lokalmatador Alpmann-Schmidt begann seine Tätigkeit 1956. Und mit seinen großen Konkurrenten Hemmer aus Würzburg und Jura Intensiv dominieren die Großrepetitorien mittlerweile den Markt. Dabei bilden die von diesen Instituten herausgegebenen Skripte hervorragende Alternativen zu den oft eher schwer verdaulichen Lehrbüchern. Und sie bieten ausgezeichnete Zusammenfassungen der Schwerpunkte. Auch die von ihnen veranstalteten Klausurenkurse verdienen Lob. Die Universitäten kontern ihrerseits mit durchaus qualitätsvollen eigenen Repetitorien. Diese bleiben aber in Disziplinen wie Klausurenkurse und Skripte oftmals hinter ihrer kostenpflichtigen Konkurrenz zurück.
Überlaufene Repetitorien?
Die Verbreitung der Großrepetitorien und ihr immenser Zulauf haben jedoch eine Situation geschaffen, die der in den Vorlesungen der Universitäten nicht unähnlich ist. Der Massenbetrieb an den Universitäten sorgt dafür, dass nicht nur die Vorlesungen völlig überlaufen sind, sondern auch die Repetitorien. Die vor genau hundert Jahren von Dr. Hirsch geäußerte Kritik an der Universitätsausbildung, die auch heute noch so bestürzend aktuell wirkt, kann auch auf viele der Veranstaltungen der Großrepetitorien übertragen werden. Zwar ist das zahlenmäßige Verhältnis von Lehrperson zu Schülern dort immer noch besser als im Hörsaal. Jedoch gerät die Übung meistens zur Vorlesung und längst nicht jeder Teilnehmer kann in dem Maße mit dem Repetitor interagieren, wie es erforderlich wäre, um das Gelernte anzuwenden und zu verinnerlichen. Dabei ist der Besuch des Repetitoriums gestern wie heute kostenpflichtig und oftmals nicht billig.
Zumindest solange die universitäre Ausbildung keine wesentliche Reform erfährt, ist schwer vorstellbar, dass der Repetitor einmal überflüssig werden könnte. Wie ein Hochschullehrer zum Ende der Weimarer Zeit treffend bemerkte, bleibt das Bestehen der privaten Repetitorien so lange gesichert, wie deren Absolvierung „die Erreichung des Examensziels sicherer verbürgt als die Teilnahme nur am akademischen Unterrichtsbetrieb“ – und daran hat sich bis heute nur wenig geändert.
Bereits vor hundert Jahren hielt der Repetitor Pabst die konversatorische Methode für die einzig brauchbare Art, dem Schüler zu gestatten, das erlernte Wissen zu repetieren, anzuwenden und beherrschen zu lernen, sprich im direkten Gespräch und der Auseinandersetzung mit dem Lehrer. Dass dies im modernen Massenrepetitorium unmöglich ist, liegt auf der Hand. Bereits früher haben sich angehende Juristen Privatlehrer zur Prüfungsvorbereitung kommen lassen, um die für die Prüfung und das Berufsleben erforderlichen Fertigkeiten beherrschen zu lernen. Denn für ein direktes Gegenüber in Form eines Lehrers gibt es einfach keinen gleichwertigen Ersatz.
Literaturhinweis
Für die Erstellung dieses Artikels war das Buch „Die Entstehung und Entwicklung des juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien“ von Stefan Lueg, erschienen 1994 als Band 1530 der Reihe Europäische Hochschulschriften, von unschätzbarem Wert und stellt eine erstklassige weiterführende und vertiefende Lektüre zum Thema dar.
Juristische Repetitorien werden in der heutigen Zeit an allen Universitäten angeboten. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob man sich als Studierender für eine größere Universität wie Hamburg, Berlin, Bonn, Köln, Münster, Heidelberg, München, Düsseldorf, Frankfurt am Main oder Tübingen entscheidet oder an einer kleineren Uni studiert wie Augsburg, Bayreuth, Bielefeld, Bochum, Bremen, Erlangen-Nürnberg, Frankfurt/Oder, Freiburg, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle, Hannover, Jena, Kiel, Konstanz, Leipzig, Mainz, Mannheim, Marburg, Osnabrück, Passau, Potsdam, Regensburg, Saarbrücken, Trier, Wiesbaden oder Würzburg.
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siehe auch: Jura-Studium – Universität Trier; Jura-Studium- Universität Bayreuth
weitere Rechtsgeschichte: siehe auch: Geschichte der modernen Universität, Geschichte des Beamtentums, Die Entwicklung des bürgerlichen Gesetzbuches, Das römische Recht
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