Neues Polizeirecht in Bayern
Das neue Polizeireicht in Bayern. Vorstellung und Überblick über die wichtigsten Änderungen des modifizierten PAG in Bayern.
2018 hat der bayerische Gesetzgeber das neue Polizeirecht in Bayern (PAG) verabschiedet. Hintergrund dieser Novellierung war die Umsetzung der JI-Datenschutzrichtlinie und die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben aus der Entscheidung des BVerfG zum Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG; vgl. BVerfGE 141, 220 ff.). Darüber hinaus sollten laut der Gesetzesbegründung einige Vorschriften dem neuesten Stand der Technik angepasst sowie einige polizeiliche Befugnisnormen effektiver ausgestalten werden. Dies geschah in erster Linie als Reaktion auf den islamistischen Terror. Es sollte eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die die rechtlichen Möglichkeiten für das Vorgehen gegen „gefährliche Personen“ neu regelt. Im Folgenden haben wir einige der wichtigsten Änderungen und Neuerungen zusammenfasst und stellen diese näher vor.
A. Die geänderten bzw. neu gefassten Vorschriften im Überblick
- Art. 14 Abs. 3, 4 PAG – Molekulargenetische Untersuchungen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters
- Art. 16 Abs. 2 Satz 2 PAG – Meldeanordnung in zeitlich regelmäßigen Abständen
- Art. 22 Abs. 2 PAG – Durchsuchung elektronischer Speichermedien
- Art. 32 Abs. 1 Satz 2, 3 PAG – molekulargenetische Untersuchung von unbekanntem Spurenmaterial um das DNA-Identifizierungsmuster festzustellen
- Art. 33 Abs. 4 PAG – Einsatz von sog. „Bodycams“
- Art. 35 PAG – Sicherstellung von Post ohne Wissen des Betroffenen
- Art. 35 PAG – Online Durchsuchung
- Art. 47 PAG – Einsatz von Drohnen
B. Der Begriff der „drohenden Gefahr“
Mit der Novellierung des PAG wurde auch ein neuer Gefahrbegriff, die „drohende Gefahr“, eingeführt. Bisher war die Eingriffsschwelle und Voraussetzung für polizeiliches Handeln stets das Vorliegen einer konkreten Gefahr.
Abgrenzung konkrete Gefahr
Eine konkrete Gefahr ist dabei stets dann gegeben, wenn hinreichend konkretisierte Tatsachen vorliegen, die befürchten lassen, dass es bei ungehindertem Geschehensablauf in naher Zukunft zu einem Schaden für ein geschütztes Rechtsgut kommen wird.
Erst bei Vorliegen dieser konkreten Gefahr durfte die Polizei bisher einschreiten.
Herabsetzen der Eingriffsschwelle: effektives Vorgehen gegen Gefährder
Nun hat der Gesetzgeber die Eingriffsschwelle für polizeiliches Handels durch das Einführen der „drohenden Gefahr“ in Art. 11 Abs. 3 PAG herabgesetzt. Sinn und Zweck dieser Neuregelung ist es dabei, effektiver und besser gegen sog. „Gefährder“ im Vorbereitungsstadium vorgehen zu können.
Unter „Gefährdern“ sind Personen zu verstehen, die bisher noch nicht strafrechtlich auffällig geworden sind, aber – aufgrund von Ergebnissen polizeilicher Ermittlungsarbeit – dennoch gefährlich erscheinen. Da von ihnen noch keine konkrete Gefahr ausgeht, konnte bisher gegen diese Personen nicht oder nur stark eingeschränkt vorgegangen werden.
Der neu eingeführte Begriff der „drohenden Gefahr“ verlagert nun die Eingriffsschwelle zeitlich vor und regelt den Bereich zwischen der bisher vom PAG umfassten konkreten Gefahr und dem bisher nicht geregelten „Gefahrenvorfeld“.
Drohende Gefahr
Im Gegensatz zu den bisherigen Gefahrbegriffen zeichnet sich die „drohende Gefahr“ dadurch aus, dass gerade noch keine hinreichend konkretisierten Tatsachen vorliegen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und bei ungehindertem Geschehensablauf zu einem Schaden für ein geschütztes Rechtsgut führen.
Vielmehr ermöglicht der neu eingeführte Art. 11 Abs. 3 PAG der bayerischen Polizei unbeschadet von Art. 11 Abs. 1 und 2 PAG die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um einen Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit einer Gefahr eines Schadens begründet. Außerdem können Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (=drohende Gefahr), soweit nicht die Art. 12 – 65 PAG die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
Damit bezieht sich Art 11 Abs. 3 PAG nicht auf eine allgemein bestehende Gefahr nach der allgemeinen Lebenserfahrung sondern vielmehr auf auf einen konkreten Lebenssachverhalt, dessen Verwirklichung bereits so bestimmt ist, dass der Schluss auf eine in absehbarer Zeit eintretendes schädigendes Ereignis nahe liegt.
Eine drohende Gefahr liegt demnach immer dann vor, wenn sich aufgrund eines individuellen Verhaltens einer Person (vgl. Art. 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PAG) oder aufgrund von festgestellten Vorbereitungshandlungen (vgl. Art. 11 Abs. 3 Satz1 Nr. 2 PAG) ein tatsächlicher Sachverhalt bereits so konkretisiert hat, dass man daraus auf ein in naher Zukunft liegendes schädigendes Verhalten dieser Person schließen kann. Ab diesem Zeitpunkt ist nach dem geänderten PAG nun ein polizeiliches Einschreiten möglich.
C. Die einzelnen Vorschriften im Detail
1. DNA-Analyse nach Art. 14 Abs. 3,4 PAG und Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG
a) DNA- Analyse nach Art. 14 Abs. 3, 4 PAG
Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1, 4 PAG kann die Polizei als erkennungsdienstliche Maßnahme einem Betroffenen Körperzellen entnehmen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersuchen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist und andere erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht hinreichend sind. Dabei darf sich die molekulargenetische Untersuchung allein auf das DNA-Identifizierungsmuster erstrecken.
Mit dieser Vorschrift wurde eine polizeiliche Präventivmaßnahme geschaffen, die es ermöglicht zur Erstellung eines DNA-Identifierungsmusters DNA-Proben zu entnehmen, sofern andere – primär anzuwendende – erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht ausreichend sind. Die Polizei darf folglich, sofern dies zur Abwehr eine konkreten Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut notwendig ist, einer Person Körperzellen entnehmen und aus diesen ein DNA-Identifizierungsmuster erstellen.
Dabei handelt es sich keineswegs um eine Standardbefugnis der Polizei. Vielmehr ist die Maßnahme an hohe Voraussetzungen geknüpft: Die Entnahme muss richterlich angeordnet sein und darf nur durch einen Arzt durchgeführt werden. Sie ergänzt die bisher in Art. 14 Abs. 2 PAG geregelten erkennungsdienstlichen Maßnahmen wie beispielsweise das Nehmen von Fingerabdrücken oder das Erstellen von Lichtbildern.
Die konkreten Voraussetzungen der DNA-Analyse nach Art. 14 Abs. 3,4 PAG sind:
- konkrete Gefahr für bedeutendes Rechtsgut
- Anordnung durch Richter (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 PAG)
- Durchführung durch Arzt (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 PAG)
- Beschränkung auf Erstellung des Identifizierungsmusters
- Subsidiarität zu anderen erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach Art. 14 Abs. 2 PAG
Das gewonnen DNA-Identifizierungsmuster kann dann mit dem aus z.B. am Tatort, an Beweisstücken oder am Opfer hinterlassenen DNA-Spuren erstellten sog. „genetischem Fingerabdruck“ abgeglichen werden. Dabei bezieht sich das molekulargenetische Erkennungsmuster auf den sog. „nicht-codierten“ Bereich der DNA, der keinerlei Erbinformationen beinhaltet.
b) DNA-Analyse nach Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG
Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG kann die Polizei zur präventiven Gefahrenabwehr personenbezogene Daten erheben. Dabei kann die Datenerhebung durch die molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials unbekannter Herkunft zum Zwecke der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der geographischen Herkunft des Spurenverursachers / der Spurenverursacherin erfolgen, wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Es kann folglich durch entsprechende Analysen ein zu Art. 14 PAG erweitertes DNA-Profil einer bei Gefahrenabwehrmaßnahmen aufgefundenen DNA-Spur unbekannter Herkunft erstellt werden. Im Gegensatz zu Art. 14 PAG umfasst dieses DNA-Identifizierungsmuster auch den sog. „codierten“ Bereich der DNA.
Diese Analysen können helfen, den Kreis potentieller Täter / Täterinnen aufgrund von Erkenntnissen über Haut-, Haar- und Augenfarbe einzugrenzen.
2. Meldeanordnung nach Art. 16 Abs.2 Satz 2 PAG
Nach Art. 16 Abs. 1, 2 Satz 2 PAG kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut eine Person verpflichten, in bestimmten zeitlichen Abständen bei einer Polizeidienststelle persönlich zu erscheinen (Meldeanordnung).
Dies war bisher nur über die sicherheitsrechtliche Generalklausel nach Art. 11 Abs. 1 PAG möglich, mit der Neuregelung des PAGs wurde nun eine eigenständige Regelung getroffen.
3. Durchsuchung elektronischer Speichermedien nach Art. 22 Abs. 2 PAG
Art. 22 PAG regelt die Durchsuchung von Sachen. Nach dem neu eingeführten Abs. 2 können, sofern die Durchsuchung ein elektronisches Speichermedium betrifft, nun auch vom Durchsuchungsobjekt räumlich getrennte Speichermedien durchsucht werden, soweit von diesem aus auf sie zugegriffen werden kann. Der Gesetzgeber reagiert hier auf die zunehmende Digitalisierung und den daraus resultierenden Umstand, dass Daten meist nun noch elektronisch gespeichert werden. Der Begriff der räumlich getrennten Speichermedien umfasst dabei neben herkömmlich Speichermedien wie z.B. einem USB-Stick auch Clouds und Online-Speicher.
4. Bodycams nach Art. 33 Abs. 4 PAG
Nach Art. 33 Abs. 4 PAG kann die Polizei bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr an öffentlich zugänglichen Orten Personen offen mittels automatisierter Bild- und Tonaufzeichnung, insbesondere auch mit körpernah getragenen Aufnahmegeräten, kurzfristig technisch erfassen, wenn dies zum Schutz von Polizeibeamten oder Dritten vor Gefahren für ein erhebliches Rechtsgut erforderlich ist. Die getätigten Aufnahmen sind dabei nach Art. 33 Abs. 8 PAG spätestens zwei Monate nach der Erhebung zu löschen, es sei denn, sie werden weiterhin zur Strafverfolgung oder zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme gebraucht.
Nach Art. 33 Abs. 4 Satz. 3 PAG dürfen Bodycams – unter sehr engen Voraussetzungen – auch offen in Polizeieinsätzen in Wohnungen zum Einsatz kommen. Dies darf allerdings nur nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person erfolgen und sofern damit nicht die Überwachung der Wohnung verbunden ist. Es stellt sich hier zurecht die Frage, inwieweit dies mit Art. 13 GG – dem Schutz der Privatsphäre – vereinbar ist. Hierzu ist anzumerken, dass der Einsatz der Bodycams für den Betroffenen stets offenkundig ist und hier nicht die Überwachung (wie z.B. bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung) im Vordergrund steht, die Kamera wird hier nicht verdeckt zum Einsatz gebracht, sie wird vielmehr zu Dokumentationszwecken genutzt. Der Einsatz der Bodycams in Wohnung ist daher durch Art. 13 Abs. 7 GG geschützt.
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Die Polizei kann nach Art. 35 PAG ohne Wissen des Betroffenen Postsendungen sicherstellen, wenn sich diese im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befinden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken (Postdienstleister), und von einer Person versandt wurden oder an eine Person gerichtet sind
1. die für eine Gefahr oder eine drohende Gefahr für ein in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 oder Nr. 5 PAG genanntes bedeutendes Rechtsgut verantwortlich ist, oder
2. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für eine Person nach Nr. 1 bestimmte oder von dieser herrührende Postsendungen entgegennimmt oder weitergibt und sie daher in Zusammenhang mit der Gefahrenlage steht, ohne diesbezüglich das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach den §§ 53, 53a StPO zu haben, sofern die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Anordnung der Sicherstellung obliegt dem Richtervorbehalt.
6. Online-Durchsuchung nach Art. 42 PAG
Nach Art. 42 Abs. 1 PAG ist nun eine Online-Durchsuchung zur Abwehr einer drohenden Gefahr möglich. Diese beinhaltet die verdeckte Durchsuchung eines elektronischen Gerätes (PCs, Laptops, Smartphone und andere Geräte mit Speicherfunktion) durch Aufspielen einer speziellen Software. Dabei zielt die Untersuchung nicht wie bei einer herkömmlichen Telefonüberwachung auf das Abhören einer Kommunikation ab sondern auf die Erhebung von bereits auf dem durchsuchten Gerät abgespeicherten Daten.
7. Art. 47 PAG – Drohnen
Nach Art. 47 PAG darf die Polizei im Rahmen bestimmter Maßnahmen nun Drohnen (sog. „unbemannte Luftfahrtsysteme“) einsetzen. Dies kommt bei folgenden Maßnahmen in Betracht:
- offene Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen nach Art. 33 Abs. 1 bis 3 PAG
- Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung nach Art. 36 Abs. 1 PAG
- Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nach Art. 41 Abs. 1 PAG
- Eingriffe in den Telekommunikationsbereich nach Art. 42 Abs. 1 bis 5 PAG
- verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme nach Art. 45 Abs. 1 und 2 PAG
Soweit die in Frage kommenden Maßnahme einem Richtervorbehalt unterliegt, gilt dies auch für den Einsatz der Drohne, vgl. Art. 47 Abs. 3 PAG. Die Drohen ist dabei stets unbewaffnet, vgl. Art. 47 Abs. 4 PAG.
D. Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass der bayerische Gesetzgeber mit der Novellierung des PAGs das bisher bestehend Spannungsfeld zwischen schon bestehender konkreter Gefahr und dem (bisher nicht geregelten) Gefahrenvorfeld entschärft hat. Nunmehr ist es der bayerischen Polizei – wenn auch nur mit engen Grenzen – möglich auch im Vorfeld bei konkret drohenden Gefahren für bedeutende Rechtsgüter einzugreifen. Dabei ist der neu entstanden Begriff der „drohenden Gefahr“ stets grundrechtschonend auszulegen. Betrachtet man nämlich die Änderungen des PAG im Licht des Grundgesetzes und des Rechtsstaatsprinzips lässt sich feststellen, dass die geänderten und nunmehr viel weitreichenderen Befugnisse der bayerischen Polizei insbesondere durch den erforderlichen Richtervorbehalt gerade noch verfassungsrechtlich zulässig sind.
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