Die Kommunalverfassungsstreitigkeit (Bayern)

Übersicht und Aufbau der Kommunalverfassungstreitigkeit in Bayern. Wertvolle Klausursystematik sowie Tipps und Tricks im Rahmen einer Klausur.

Datum
Rechtsgebiet Kommunalrecht
Ø Lesezeit 6 Minuten
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Die Kommunalverfassungsstreitigkeit ist eine spezielle Konstellation, die in Klausuren des bayerischen Examens mit kommunalrechtlichem Schwerpunkt ein beliebtes Prüfungsthema darstellt. Gerade aus prozessualer Sicht ergeben sich dabei einige – wenn auch nur kleine – Besonderheiten, auf deren sichere Beherrschung es dann ankommt. Dieser Artikel stellt deshalb eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Prüfungspunkte dar.

A. Begriffe und Definitionen

Der Begriff der Kommunalverfassungsstreitigkeit ist in der GO selbst nicht normiert. Grundsätzlich ist darunter der Streit zweier kommunaler Organe (z.B. zwischen Gemeinderatsmitgliedern untereinander oder zwischen Gemeinderat und dem ersten Bürgermeister) zu verstehen. Man unterscheidet dabei zwischen Inter- und Intraorganstreit.

I. Interorganstreit

Ein sog. Interorganstreit ist gegeben, wenn zwei Organe der selben kommunalen Körperschaft über die Ausübung von Kompetenzen aus der GO streiten. Lehrbuchbeispiele für einen Interorganstreit sind der Kompetenzstreit über die Zuständigkeiten nach Art. 29, 37 GO, Streitigkeiten zwischen erstem und zweitem Bürgermeister oder die Weigerung des ersten Bürgermeisters zum Vollzug eines Gemeinderatsbeschlusses nach Art. 36 S. 1 GO.

II. Intraorganstreit

Unter einem Intraorganstreit versteht man einen Streit innerhalb eines Organs. Beispielsweise eine Meinungsverschiedenheit über die Ausübung des Hausrechts durch den ersten Bürgermeister nach Art. 53 I S. 1 GO oder der Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds von einer Sitzung wegen persönlicher Beteiligung nach Art. 49 I GO.

Jura-Individuell-Tipp: Für den eigentlichen Prüfungsablauf ist eine Unterscheidung nach Inter- und Intraorganstreit nicht von Nöten, da die Prüfung in beiden Konstellationen genau gleich läuft. Der Begriff der Kommunalverfassungsstreitigkeit selbst wird nur bei der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO relevant (Stichwort: „Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“). Hier sammelt natürlich derjenige beim Korrektor ein dickes Plus, der nach Inter- und Intraorganstreit unterscheiden kann.

B. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Besonders prüfungsrelevante Probleme ergeben sich – wie bereits angesprochen – bei der Prüfung von kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten bei der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO sowie der statthaften Klageart und der Klagebefugnis.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

In der Regel ist die Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO unproblematisch, da sich die streitentscheidenden Normen der GO entnehmen lassen und somit solche des öffentlichen Rechts sind. Auch ist die Streitigkeit in der Regel nicht verfassungsrechtlicher Art, da keine Verfassungsorgane unmittelbar über Verfassungsrecht streiten: Es streiten lediglich zwei kommunalrechtliche Organe um die Ausübung von kommunalem Organisationsrecht, vgl. VG Würzburg, Bay Vbl 1996, 377 ff. Somit ist kein Fall der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit gegeben.

II. Statthafte Klageart

Nach § 88 VwGO bestimmt sich die statthafte Klageart nach dem klägerischen Begehren. In Betracht kommen bei der Kommunalverfassungsstreitigkeit  die Anfechtungsklage, die allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung oder die allgemeine Feststellungsklage.

1. Anfechtungsklage

Meist dreht es sich bei einer Kommunalverfassungsstreitigkeit um die Aufhebung einer Entscheidung nach der GO. Als statthafte Klageart kommt somit grundsätzlich die Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 GO in Betracht.

Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Verwaltungsaktes i.S.v. Art. 35 BayVwVfG. Dies ist jedoch bei einer kommunalen Rechtsstreitigkeit nicht immer ganz unproblematisch zu bejahen:

Art. 35 BayVwVfG erfordert die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. Gerade diese Außenwirkung ist jedoch auf innerkommunaler Ebene oft nicht gegeben. Nach Ansicht des BayVGH ist diese nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die streitige Maßnahme oder Regelung nicht nur das Organ in seiner Organstellung, sondern auch die Person dahinter (sog. „Organwalter“) berührt ist. In diesem Fall sind dann nämlich nicht nur organschaftliche Rechte, sondern auch der Rechtskreis einer natürlichen Person betroffen. Die Wirkung tritt dann sozusagen „aus dem organschaftlichen Kreis heraus“.

Der BayVGH hat eine Außenwirkung nach diesen Grundsätzen nur in den Fällen der Verhängung von Ordnungsgeldern nach Art. 48 II, III GO sowie in den Fällen des Ausschlusses eines störenden Gemeinderatsmitglieds von der Sitzung nach Art. 53 I S. 2 GO bejaht, vgl. BayVGH Bay Vbl 1988, 16ff.  Nur in diesen Fällen ist somit die Anfechtungsklage die statthafte Klageart!

Jura Individuell-Tipp: Als kleine Gedächtnisstütze kann Art. 35 BayVwVfG über Art. 48 II und III, sowie Art. 53 I S. 2 GO notiert werden.

Mangels Vorliegen eines Verwaltungsaktes kann demnach in allen anderen Konstellationen nur die allgemeine Leistungsklage oder die Feststellungsklage statthaft sein.

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2. Allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung

Die allgemeine Leistungsklage ist keine Gestaltungsklage, so dass mit ihr das Ziel der Aufhebung nicht erreicht werden kann. Es verbleibt somit in allen übrigen Fällen bei der Feststellungsklage dahingehend, dass die beanstandete Maßnahme/Regelung rechtswidrig war.

Problematisch ist, dass dies in der Regel dem eigentlichen klägerischen Begehren – nämlich der Aufhebung – nicht gerecht wird.

Um diesen Konflikt zu lösen, hat der BayVGH aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG die allgemeine Leistungsklage mit einer kassatorischer (= aufhebenden) Wirkung ausgestattet. Sollte sich diese Klage als begründet erweisen, so wird der Beklagte verpflichtet, die vom Gericht getroffene Entscheidung zu vollziehen. Genauso kann das Gericht die beanstandete Regelung selbst aufheben und die rechtmäßige Lage herstellen.

Nach diesen Grundsätzen des BayVGH ist folglich die allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Leistung dann die statthafte Klageart, wenn mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt vorliegt, das klägerische Begehren aber dennoch auf die Aufhebung kommunalen Handels gerichtet ist.

3. Feststellungsklage

Subsidiär zu Anfechtungs– und Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung ist die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO. Sie dient als „Auffangklage“, wenn sich das klägerische Begehren lediglich auf Feststellung bezieht. Beispielsweise wenn festgestellt werden soll, dass eine zwischenzeitlich erledigte kommunale Maßnahme rechtswidrig war.

Jura Individuell-Hinweis: Auf die Problematik des verschiedenen Klagearten sollte in der Klausur mit einer Kommunalverfassungsstreitigkeit grundsätzlich eingegangen werden. In der Abgrenzung wird regelmäßig ein Schwerpunkt der Bearbeitung liegen! Eine gute Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass man die Problematik erkennt, hinreichend darstellt und den Sachverhalt richtig subsumieren kann.

III. Klagebefugnis

Bei der Anfechtungsklage ergibt sich die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO regelmäßig allein aus der Adressatentheorie.

Bei der allgemeinen Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung und der Feststellungsklage ist § 42 II VwGO analog anzuwenden: Es muss zumindest möglich erscheinen, dass bestimmte „Organrechte“ verletzt sind, vgl. BayVGH BayVbl 1995, 662 ff. Beispiele hierfür sind Art. 36 S. 1, 48 I S. 1 und 2 GO.

IV. Übrige Sachentscheidungsvoraussetzungen, Passivlegitimation

Im Bezug auf alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich keine Besonderheiten. Bei einer Feststellungsklage ist insbesondere an das besondere Feststellungsinteresse zu denken.

Bezüglich der Passivlegitimation gilt das in Bayern übliche Rechtsträgerprinzip. Nach § 78 I Nr. 1 VwGO ist bei einer Kommunalverfassungsstreitigkeit somit die Klage stets gegen den Träger des handelnden Organs zu richten.

Jura Individuell-Hinweis: Besonders aufgepasst werden sollte, wenn in der Klausur der erste Bürgermeister gegen die Gemeinde klagt. Diese müsste sich im Prozess dann nach Art. 39 I GO vom zweiten Bürgermeister vertreten lassen, da sonst mit dem ersten Bürgermeister auf beiden Seiten die gleiche Person stehen würde!

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