Neues Schuld- und Kaufrecht 2022 (Teil 2)

Kürzlich wurden zwei europäische Richtlinien umgesetzt, die Warenkaufrichtlinie (WKRL) sowie die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (DIRL).

Datum
Rechtsgebiet Kaufvertrag
Ø Lesezeit 8 Minuten
Foto: Shane Rounce/unsplash.com

Im Zuge dessen wurden neue Vorschriften – neues Schuld- und Kaufrecht – im BGB geschaffen. Das neue Recht gilt für alle Verträge, die ab dem 01.01.2022 geschlossen wurden.

Neu ist vor allem der im Sinne der Digitalisierung neu eingeführte Vertrag über digitale Produkte. Dieser ist in den §§ 327 – 327u BGB geregelt. Die Regelungen stehen als neuer Titel 2a im 3. Abschnitt des 2. Buches über „Schuldverhältnisse aus Verträgen“. Sie gelten somit grundsätzlich für alle Arten des Vertriebs digitaler Produkte. Es ist also immer notwendig, einen Vertrag über digitale Produkte einem Vertragstyp zuzuordnen.

Nachfolgend soll ein Überblick über die für die Klausur wichtigsten Gesetzesänderungen verschafft werden:

I. Anwendungsbereich, §§ 327, 327 a BGB

§ 327 I 1 BGB regelt, dass die §§ 327 – 327s BGB auf Verbraucherverträge anwendbar sind, welche die Bereitstellung digitaler Produkte (digitale Inhalte oder Dienstleistungen) durch einen Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben.

Voraussetzung ist also neben dem Vorliegen eines Verbrauchervertrages nach § 310 III BGB die Bereitstellung digitaler Inhalte oder Dienstleistungen. Digitale Inhalte sind nach § 327 II 1 BGB Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden, z.B. zum Download bereitgestellte Software. Digitale Dienstleistungen sind legal definiert in § 327 II 2 BGB. Hierunter fallen Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen (Nr. 1). Ferner erfasst werden Dienstleistungen, die dem Verbraucher die gemeinsame Nutzung der von ihm oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstigen Interaktionen mit diesen Diensten ermöglichen (Nr. 2). Die Voraussetzungen einer „Bereitstellung“ der digitalen Produkte sind in § 327b III BGB für digitale Inhalte und in § 327b IV BGB für digitale Dienstleistungen definiert.

Die „Zahlung eines Preises“ als Gegenleistung des Verbrauchers umfasst einerseits die Zahlung eines Geldbetrages, anderseits aber auch analoge Darstellungen (z. B. Geschenkgutscheine) sowie digitale Darstellungen eines Wertes.

Des Weiteren eröffnet das Gesetz den Anwendungsbereich der §§ 327 – 327 s BGB in einigen Sonderfällen. Diese sind zu finden in den §§ 327 IV, V BGB sowie in § 327 a I, II BGB.

§ 327 VI BGB nennt dagegen Verträge, die vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden.

II. Bereitstellung digitaler Produkte, §§ 327 b, 327 c BGB

Das Gesetz nennt drei Pflichten des Unternehmers für die Bereitstellung digitaler Produkte:

  • Er muss die digitalen Produkte nach § 327 b BGB bereitstellen.
  • Die digitalen Produkte müssen nach § 327 d BGB „vertragsmäßig“ sein, also frei von Produkt- und Rechtsmängeln.
  • Eine Veränderung der digitalen Produkte bei einer dauerhaften Bereitstellung ist nur unter Beachtung der Vorgaben in § 327 r BGB zulässig.

Kommt der Unternehmer seiner Pflicht zur Bereitstellung nicht nach, so hat der Verbraucher verschiedene Rechte (§ 327 c BGB).

III. Vertragsmäßigkeit digitaler Produkte, §§ 327 d – 327 h BGB

Ist der Unternehmer durch einen Verbrauchervertrag gemäß § 327 BGB oder § 327a BGB zur Bereitstellung eines digitalen Produkts verpflichtet, so hat er das digitale Produkt nach § 327 d BGB frei von Produkt- und Rechtsmängeln bereitzustellen. Was ein Produktmangel ist, regelt § 327 e BGB. So ist nach § 327e I 1 BGB ein digitales Produkt frei von Produktmängeln, wenn es zur maßgeblichen Zeit den subjektiven, den objektiven sowie den Anforderungen an die Integration entspricht.

Das digitale Produkt ist darüber hinaus nach § 327 g BGB frei von Rechtsmängeln, wenn der Verbraucher es gemäß den subjektiven oder objektiven Anforderungen nach § 327e II, III BGB nutzen kann, ohne dabei Rechte Dritter zu verletzen. Ein Produktmangel liegt nach § 327 e V BGB vor, wenn der Unternehmer ein anderes als das vertraglich geschuldete digitale Produkt bereitstellt.

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Ist das digitale Produkt nicht frei von Mängeln und wurde nach § 327 h BGB auch keine negative Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, so stehen dem Verbraucher die Mängelrechte nach den §§ 327 i ff. BGB zu.

Darüber hinaus regelt § 327 f BGB eine Aktualisierungspflicht des Unternehmers. Hiernach hat der Unternehmer sicherzustellen, dass dem Verbraucher während des maßgeblichen Zeitraums Aktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind, bereitgestellt werden. Dabei ist der Verbraucher über die Aktualisierungen zu informieren. Unterlässt es der Verbraucher nach § 327 f II BGB innerhalb einer angemessenen Frist eine Aktualisierung zu installieren, so haftet der Unternehmer nicht für einen Produktmangel, der ausschließlich auf das Fehlen einer Aktualisierung zurückzuführen ist.

IV. Rechte des Verbrauchers bei Mängeln, §§ 327 i – 327 p BGB

Vergleichbar mit dem allseits bekannten § 437 BGB im Kaufrecht ist der § 327 i BGB. Liegt ein Mangel vor, so kann der Verbraucher nach § 327 i BGB Nacherfüllung verlangen (Nr. 1), den Vertrag beenden oder wahlweise den Preis mindern (Nr. 2) sowie Schadens- oder Aufwendungsersatz verlangen (Nr. 3).

Grundsätzlich steht dem Unternehmer, wie im Kaufrecht, ein „Recht zur zweiten Andienung“ zu. Man erkennt also Parallelen zum bereits Gelernten.

Einzelheiten zur Vertragsbeendigung regelt § 327m I, II, IV, V BGB. Die §§ 327o, 327p BGB beschäftigen sich mit der Ausübung des Beendigungsrechts sowie mit den Rechtsfolgen der Vertragsbeendigung. Die Minderung ist geregelt in § 327n BGB. Nach § 327 i Nr. 3 BGB hat der Verbraucher die Möglichkeit, Schadensersatz nach § 280 I BGB und § 327m III BGB oder den Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 BGB zu verlangen. Der Unternehmer haftet allerdings nur dann auf Schadensersatz, wenn er die Mangelhaftigkeit des digitalen Produkts nach den §§ 276 ff. BGB zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen wird dabei nach § 280 I 2 BGB vermutet. Somit muss der Unternehmer beweisen, dass er die Mangelhaftigkeit nicht zu vertreten hat.

V. Beweislastumkehr und Verjährung, §§ 327 k, 327 j BGB

Auch hinsichtlich der Beweislast (§ 327 k BGB) sowie der Verjährung (§ 327 j BGB) gibt es Parallelen zum Kaufrecht.

1. Beweislastumkehr

Nach den allgemeinen Grundsätzen muss eigentlich der Verbraucher, der seine Rechte aus § 327 i BGB geltend machen will, die dafür maßgeblichen Tatsachen beweisen. § 327 k I BGB legt allerdings eine Umkehr der Beweislast bei Mängeln eines digitalen Produktes zugunsten des Verbrauchers fest. Zeigt sich bei einem digitalen Produkt innerhalb eines Jahres seit seiner Bereitstellung ein von den Anforderungen nach den §§ 237 e oder g BGB abweichender Zustand, so wird nach § 327 k I BGB vermutet, dass das digitale Produkt bereits bei seiner Bereitstellung mangelhaft war.

Wichtig ist, dass diese Regelung nur für Verträge über eine einmalige Bereitstellung gilt. § 327 k II BGB legt nämlich für eine dauerhafte Bereitstellung die Vermutung fest, dass das digitale Produkt während der bisherigen Dauer der Bereitstellung mangelhaft gewesen ist.

2. Verjährung

In § 327 j BGB ist eine spezielle Verjährungsregelung enthalten. Nach § 327 j I BGB verjähren die in § 327 i Nr. 1 und 3 BGB bezeichneten Ansprüche des Verbrauchers in zwei Jahren, gerechnet ab der Bereitstellung. Handelt es sich um eine dauerhafte Bereitstellung, so verjähren die Ansprüche nach § 327 j II BGB nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des Bereitstellungszeitraumes. Ansprüche wegen einer Verletzung der Aktualisierungspflicht gemäß § 327 f BGB verjähren nach § 327 j III BGB nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des für die Aktualisierungspflicht maßgeblichen Zeitraums.

Hat sich ein Mangel innerhalb der Verjährungsfrist gezeigt, so tritt nach § 327 j IV BGB die Verjährung nicht vor dem Ablauf von vier Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Für die in § 327 i Nr. 2 BGB bezeichneten Rechte gilt nach § 327 j V BGB die Regelung des § 218 BGB entsprechend.

VI. Änderungen an digitalen Produkten, § 327 r BGB

Handelt es sich um einen Vertrag über eine dauerhafte Bereitstellung digitaler Produkte, so stellt sich die Frage, was geschieht, wenn durch nachträgliche Änderungen, die über das erforderliche Maß hinausgehen, die Interessen des Verbrauchers beeinträchtigt werden (Sonderfall der nachträglichen Schlechtleistung). Die genannten Änderungen darf der Unternehmer nur dann vornehmen, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Der Vertrag muss explizit die Möglichkeit sowie einen triftigen Grund für Änderungen enthalten (§ 327 r I Nr. 1 BGB).
  • Dem Verbraucher dürfen durch die Änderungen keine zusätzlichen Kosten entstehen (§ 327 r I Nr. 2 BGB).
  • Schließlich muss der Verbraucher klar und verständlich über die Änderungen informiert werden (§ 327 r I Nr. 1 – 3 BGB).

Darüber hinaus darf der Unternehmer eine Änderung, die die Zugriffsmöglichkeit oder die Nutzbarkeit des digitalen Produktes (§ 327 r II 3 BGB) nicht nur unerheblich beeinträchtigt, nur dann vornehmen, wenn dem Verbraucher nach § 327 i II 1 BGB die Änderung innerhalb einer angemessenen Frist angekündigt wurde. Der Verbraucher hat bei einer erheblichen Beeinträchtigung nach § 327 r III 1 BGB die Möglichkeit, den Vertrag innerhalb von dreißig Tagen unentgeltlich zu beenden, außer es liegt ein Ausschluss nach § 327 r IV BGB vor.

VII. Rückgriff des Unternehmers, § 327 u BGB

§ 327 u I bis V BGB regelt den verschuldensunabhängigen Rückgriff des Unternehmers bei dem Vertragspartner, von dem er das digitale Produkt bezogen hat. Die Vorschrift ist zum Schutz des Unternehmers gemäß § 327 IV BGB zwingend. Sie gilt nach § 327 u VI entsprechend für alle Glieder der Vertriebskette. Allerdings hat der Unternehmer keine Ansprüche nach § 327 u BGB gegen seinen Vertragspartner, wenn der Verbraucher den Vertrag beendet hat, mindert oder Schadensersatzes fordert.

VIII. Verhältnis zum Datenschutz, § 327 q BGB

Die Vorschrift des § 327 q BGB stellt klar, dass keine vertragsrechtlichen Sanktionen drohen, wenn der Verbraucher Rechte aus dem Datenschutzrecht wahrnimmt. Der Vertrag mit dem Unternehmer bleibt nach § 327 q I BGB weiterhin wirksam. Außerdem sind Ersatzansprüche des Unternehmers wegen Einschränkungen der Datenverarbeitung nach § 327 q III BGB ausgeschlossen. Es soll gewährleistet werden, dass der Verbraucher seine datenschutzrechtlichen Befugnisse ausüben kann, ohne rechtliche Nachteile befürchten zu müssen. Der Unternehmer hat aber unter den Voraussetzungen des § 327q II BGB das Recht, den Vertrag mit dem Verbraucher fristlos zu kündigen.

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