Verwaltungsakt – Begründung und Fehlerprüfung

In öffentlich-rechtlichen Klausuren tritt häufig die Situation ein, dass man die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts überprüfen muss. Vor allem bei der Begründung können einer Behörde leicht Fehler unterlaufen, die dazu führen, dass der VA rechtswidrig ist. Deswegen erfordert die Überprüfung der Begründung eine effektive Überprüfungstechnik.

Datum
Rechtsgebiet Öffentliches Recht
Ø Lesezeit 8 Minuten
Foto: Unseen Studio/unsplash.com

Im Zentrum des Verwaltungsakts stehen in der Regel der Verfügungssatz und seine Begründung. Im Verfügungssatz gibt die Behörde den Bescheidadressat:innen bekannt, was sie tun, unterlassen oder dulden sollen oder womit sie begünstigt oder nicht begünstigt werden. In der Begründung stehen die Gründe für den Verfügungssatz. Wie die Behörde den Verwaltungsakt jeweils begründet, hängt vor allem auch von den gesetzlichen Begründungsanforderungen ab. Diese sind bei gebundenen Entscheidungen und Entscheidungen mit Ermessensspielraum unterschiedlich hoch, so dass auch die Fehlerprüfung verschieden durchgeführt werden muss.

Der Artikel zeigt Euch, wie Ihr die Begründung (und nebenbei auch den Verfügungssatz) auf Fehler prüft.

1. Überprüfung der Begründung von gebundenen Entscheidungen

Bei gebundenen Entscheidungen bestimmt die Norm genau, welche Rechtsfolge bei einem bestimmten Tatbestand eintreten soll. In der Norm erkennt man das an der Verwendung der Begriffe „muss“ oder „soll“. Die Überprüfung der gebundenen Entscheidungen ist somit vergleichsweise einfach. Habt Ihr erkannt, dass die Ermächtigungsgrundlage eine gebundene Entscheidung erfordert, so müsst Ihr nur noch überprüfen, ob die Rechtsfolge mit derjenigen in der Norm übereinstimmt. Danach prüft Ihr, ob die Behörde ihre tatsächlichen Feststellungen benannt hat und diese auch unter den in der Norm angegebenen Tatbestand subsumierbar sind.

★ Wichtiger Hinweis

Übrigens: Anders als in einem Gerichtsurteil – Tenor (entspricht Verfügungssatz) und Urteilsbegründung – ist in einem Verwaltungsakt die Begründung nicht immer deutlich vom Verfügungssatz abgesetzt.

2. Überprüfung der Begründung von Entscheidungen mit Entscheidungsspielraum

Schwieriger ist es demgegenüber bei einem Verwaltungsakt, bei dem die Behörde einen Ermessensspielraum hat. In diesem Fall stellt der Gesetzgeber erhöhte Anforderungen an die Begründung des Verwaltungsakts.

Wann erfüllt die Begründung in einem Ermessensverwaltungsakt die Anforderungen – und wann nicht?

Bei einem Verwaltungsakt mit Ermessen gibt die Norm, die die Behörde zur Entscheidung ermächtigt, mindestens zwei Entscheidungsalternativen auf der Rechtsfolgenseite vor, zwischen denen die Behörde wählen muss. Der Gesetzgeber zeigt die Verpflichtung zur Ermessensausübung in der Norm durch „kann“ an. ‚Die Behörde kann dieses oder jenes tun‘ oder, die Behörde kann x tun oder auch nicht tun‘. (Achtung: Das ‚Nicht-tun‘ als zweite Entscheidungsalternative wird in der Norm für gewöhnlich nicht explizit benannt. D.h. der Wortlaut der Norm lautet einfach: ‚Die Behörde kann x tun.‘)

Wie ein Ermessensverwaltungsakt zu begründen ist, hat der Gesetzgeber im allgemeinen Verwaltungsrecht in §§ 39 Abs. 1 Satz 2 und 3 und 40 VwVfG normiert.

★ Wichtiger Hinweis

In der Klausur überprüft Ihr also zunächst (genauso wie bei einem gebundenen Verwaltungsakt), ob die Behörde die Norm und die sich aus der Norm ergebenden Rechtsfolgen zutreffend benannt hat. Dann schaut Ihr, ob die Behörde ihre tatsächlichen Feststellungen und das von ihr ausgeübte Ermessen, d.h. ihre Ermessenserwägungen, in der Begründung dokumentiert hat. Sagt die Behörde nichts zu den Umständen des konkreten Falls, ist schon klar, dass die Behörde ihr Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt haben kann. Denn die Ermessenserwägungen sind immer auf den konkreten Fall bezogen.

Ob Ihr z.B. ein Bußgeld wegen Fahrradfahrens ohne Licht zahlen sollt oder ob die Behörde es bei einer Verwarnung belässt, kann die Behörde nur anhand der Umstände des konkreten Falls entscheiden. Andernfalls ist ihre Wahl willkürlich oder beruht auf sachfremden Motiven.

Zur Überprüfung der Ermessenserwägungen schaut Ihr weiter, ob die Behörde überhaupt erkannt hat, dass ihr Entscheidungsalternativen zustehen. Und wurde begründet, warum aus den Entscheidungsalternativen gerade die eine und nicht die andere Rechtsfolge ausgewählt wurde? Die Behörde kann also ihre Erwägungen nicht einfach auf die gewählte Entscheidung beschränken; sie muss auch darlegen, warum die anderen Entscheidungsalternativen für sie nicht in Frage kamen.

Ermessensnichtgebrauch

Fehlen diese Erwägungen, so liegt Ermessensnichtgebrauch vor (s. Fallbeispiel für Tüftler). Gleichermaßen liegt Ermessensnichtgebrauch vor, wenn der Verwaltungsakt zwar eine Begründung enthält, die verwendeten Worte jedoch keinen Begründungswert besitzen (s. Leerformelbegründungen).

Hier zeigt sich, dass die Begründung eines Ermessensverwaltungsakts Dreh- und Angelpunkt bei der Durchführung der Ermessensfehlerprüfung ist. Begründungs- und Ermessensfehler überschneiden sich. Selbst wenn die gewählte Entscheidung im gesetzlich vorgegebenen Ermessensrahmen liegen sollte (keine Ermessensüberschreitung), so wäre die fehlende Darlegung der Ermessenserwägungen dennoch ein gewichtiges, beachtliches Indiz für Ermessensausfall.

★ Wichtiger Hinweis

Hier noch eine Besonderheit:

Vollständig fehlende Ermessenserwägungen dürfen nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden. Sind Ermessenserwägungen jedoch im Ansatz vorhanden, weil Gründe genannt werden, diese aber materiell-rechtlich nicht tragfähig sind, dann besteht zwar auch Heilungsbedarf. Bessere Gründe können in diesem Fall jedoch bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz nachgeschoben werden (vgl. § 114 Satz 2 VwGO).

In der Praxis bedeutet dies, dass die Behörde irgendwelche Gründe, also schlechte, nicht tragfähige Gründe im VA angeben und in dem Fall, dass Bescheidadressat:innen Klage erheben sollten, die eigentlichen Gründe nachschieben kann. Ob das Gericht in solchen Fällen den Klägern oder der Behörde die Verfahrenskosten auferlegt, liegt in seinem Ermessen (vgl. § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Beachtet jedenfalls, dass Ihr Euch der Versuchung enthaltet, etwaige Begründungsfehler durch plausible Annahmen dazu, welche Gründe die Behörde vermutlich hatte, ‚wegzuargumentieren‘. Das Gericht darf nicht Ermessenserwägungen anstelle der Behörde anstellen. Damit würde es in der Praxis das Gewaltenteilungsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG verletzen. Die Behörde muss von sich aus auf die Idee kommen, welche Heilungsmöglichkeiten sie bis wann (Abschluss des Verwaltungsverfahrens oder der letzten Tatsacheninstanz) hat.

✱ Fallbeispiel

Fallbeispiel

Wie die Prüfung der Begründung eines Ermessensverwaltungsakts konkret durchgeführt wird, könnt Ihr in diesem Fallbeispiel [Link: Fallbeispiel für Tüftler] nachlesen. Achtung, der Fall ist tricky!

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3. Prüfungsschema

Zusammengefasst geht Ihr für die Überprüfung der Begründung des Verwaltungsakts also folgendermaßen vor

Gebundener Verwaltungsakt:

A1. (Irgendeine) Begründung vorhanden?

Wenn Ja, weiter zu A2. Wenn Nein, dann formeller Begründungsfehler (außer in den Fällen von § 39 Abs. 2 VwVfG). Verwaltungsakt ist rechtswidrig.

A2. Begründung benennt die Ermächtigungsgrundlage und den Tatbestand (und eventuell die Rechtsfolge, wenn die Begründung mit dem Verfügungssatz verschmolzen ist)?

Wenn Ja, weiter zu A3. Wenn Nein, dann formeller Begründungsfehler (außer in den Fällen von § 39 Abs. 2 VwVfG). Verwaltungsakt ist rechtswidrig.

A3. Der Tatbestand lässt sich unter denjenigen, der in der Ermächtigungsgrundlage genannt ist, subsumieren?

Wenn Ja, dann weiter zu A4. Wenn Nein, dann materieller Begründungsfehler. Verwaltungsakt ist rechtswidrig.

A4. Die benannte Rechtsfolge stimmt mit der Rechtsfolge in der Ermächtigungsgrundlage überein?

Wenn Ja, Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Wenn Nein, dann materieller Begründungsfehler. Verwaltungsakt ist rechtswidrig.

Ermessensverwaltungsakt:

B1. Begründung vorhanden?

Wenn Ja, weiter zu B2. Wenn Nein, dann formeller Begründungsfehler. VA ist rechtswidrig.

B2. Begründung benennt die Ermächtigungsgrundlage, den Tatbestand und die gewählte Rechtsfolge?

Wenn Ja, weiter zu B3. Wenn eine der drei Komponenten fehlt, dann formeller Begründungsfehler. VA ist rechtswidrig.

B3. Der Tatbestand lässt sich unter denjenigen, der in der Ermächtigungsgrundlage genannt ist, subsumieren?

Wenn Ja, dann weiter zu B4. Wenn Nein, dann materieller Begründungsfehler. VA ist rechtswidrig.

B4. Die Begründung enthält Ermessenserwägungen zu den in der Ermächtigungsgrundlage festgelegten Entscheidungsalternativen?

Die Ermessenserwägungen erörtern das Für und Wider der gewählten Entscheidung und mindestens einer der nicht gewählten Entscheidungsalternativen? Die Erörterungen erfolgen auch in Bezug zum konkreten Tatbestand?

Wenn Ja, ist die Begründung des VA fehlerfrei. Wenn Nein, dann formeller Begründungsfehler (sowie auch Ermessensfehler ‚Ermessensausfall/-nichtgebrauch‘). VA ist rechtswidrig. In diesem Fall könnt Ihr auch noch B5 durchführen:

B5. (optional): Ihr erfindet eine fehlerfreie Begründung i.S.v. B1 bis B4, um der Behörde vor Augen zu führen, wie sie den Ermessens-VA richtigerweise hätte begründen sollen.

★ Wichtiger Hinweis

Achtung: Ihr dürft Euch dabei natürlich nicht auf eine Entscheidungsalternative festlegen. Denn die Auswahl zwischen diesen liegt im Ermessen der Behörde (s.o.: Gewaltenteilungsprinzip).

Anschließend folgen noch die Ermessensfehlerprüfung und die Verhältnismäßigkeitsprüfung:

Die Ermessensfehlerprüfung wurde mit Prüfschritt 4 schon begonnen.

Hier könnt Ihr also ansetzen:

E1 (= B4). Die Ermessenserwägungen erörtern die Pros und Cons der gewählten Entscheidung und mindestens einer der nicht gewählten Entscheidungsalternativen? Die Erörterungen erfolgen auch in Bezug zum konkreten Tatbestand?

Wenn Ja, weiter zu E2. Wenn Nein, dann Ermessensausfall/-nichtgebrauch. VA ist rechtswidrig. E2. Die benannte Rechtsfolge stimmt mit der Rechtsfolge in der Ermächtigungsgrundlage (dem Ermessensrahmen, den Entscheidungsalternativen) überein?

Wenn Ja, VA ist ermessensfehlerfrei. Wenn Nein, dann Ermessensüber- oder -unterschreitung. VA ist rechtswidrig.

Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung lest Ihr hier nach. Wie tricky die Bestimmung des legitimen Zwecks (Prüfschritt 1 der Verhältnismäßigkeitsprüfung) sein kann, zeigt das Fallbeispiel für Tüftler.

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