Schulgebet – Klausur zu verfassungsimmanenten Schranken

Wechselwirkung zwischen Art. 7 I GG, Art.6 II GG und Art. 4 I,II GG. Verfassungsimmanente Schranken bei Grundrechten.

Datum
Rechtsgebiet Öffentliches Recht
Ø Lesezeit 18 Minuten
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Sachverhalt

Der fünfzehnjährige B ist Schüler eines Gymnasiums in X-Stadt im Bundesland Y; er ist muslimischen Glaubens. Im November 2007 betete er in der Schulpause gemeinsam mit mehreren Mitschülern auf einem Flur der Schule. Das Gebet dauerte ca. 10 Minuten. Die Schüler breiteten dafür ihre Jacken auf dem Boden aus und knieten darauf, um dem islamischen Gebetsritus zu folgen. Als die Schulleitung von diesem Vorgang Kenntnis erlangte, wies sie die betreffenden Schüler und deren Eltern unter Bezugnahme auf § 5 der Hausordnung des Gymnasiums schriftlich darauf hin, dass an der Schule politische und religiöse Bekundungen nicht erlaubt seien. Hierzu gehörten auch Gebete, die in Gruppen durchgeführt werden. Das Gymnasium würde von Schülern unterschiedlichster Glaubensgemeinschaften besucht. Zwischen den verschiedenen Gruppen sei es in der Vergangenheit bereits häufig zu religiös motivierten Übergriffen, Beleidigungen und Ausgrenzungen gekommen. Gerade rituelle Gebete in Gruppen hätten einen darstellenden und werbenden Charakter, der den Schulfrieden gefährde. Die Schulleitung sei nach § 2 des Schulgesetzes (SchulG) verpflichtet, dem entgegenzuwirken. Die Entscheidung, das öffentliche Beten in Gruppen im Schulgebäude zu untersagen, bedeute nicht, dass persönliche und unauffällige, andere Schüler nicht störende und den Unterricht nicht beeinflussende Gebete untersagt wären. Der Wunsch, während der unterrichtsfreien Zeit in der Schule nach islamischem Ritus zu beten, habe aber wegen der zu befürchtenden Konflikte mit Schülern anderer Religionszugehörigkeit zur Folge, dass die Schule einen geeigneten und von Lehrern beaufsichtigten Raum für die Gebete bereitstellen müsse. Dem stünde das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates entgegen. Auch aus organisatorischen Gründen sei sie dazu nicht in der Lage.Schließlich müsse in Betracht gezogen werden, dass dann auch andere Schüler nach ihrem Ritus während der unterrichtsfreien Zeit beten wollten. Es sei nicht möglich, für jede Religionsgruppe einen eigenen Gebetsraum vorzuhalten.

B erhebt daraufhin Klage vor dem Verwaltungsgericht und beantragt festzustellen, dass er berechtigt ist, während des Besuchs des Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein rituelles islamisches Gebet zu verrichten. Er sei darauf angewiesen, in einer der Schulpausen zu beten, da er sich an die vorgeschriebenen Gebetszeiten zu halten habe. Das Nachholen des Gebets habe nach dem islamischen Glauben, wie er für ihn verbindlich sei, nicht den gleichen Wert wie das zeitnahe Gebet.

Das Verwaltungsgericht weist die Klage ab. Es folgt dabei im Wesentlichen den Argumenten der Schulleitung. Weder aus dem Schulgesetz noch unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebe sich ein entsprechender Anspruch. Die von B in Anspruch genommene Religionsfreiheit treffe auf die negative Religionsfreiheit der nicht- oder andersgläubigen Schüler. Ebenso betroffen sei das Erziehungsrecht der Eltern gem. Art. 6 Abs. 2 GG sowie der aus Art. 7 Abs. 1 GG folgende staatliche Unterrichts- und Erziehungsauftrag, der es beinhaltet, den Schulfrieden zu gewährleisten. Die von B angestrebte religiöse Betätigung erfordere notwendig flankierende organisatorische Maßnahmen der Schulleitung. Art. 4 GG verleihe dem Einzelnen und den religiösen Gemeinschaften aber grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen.

Nach erfolgloser Erschöpfung des Rechtsweges erhebt B form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Er macht geltend, dass Art. 4 Abs. 2 GG die ungestörte Religionsausübung auch während des Schulbesuchs gewährleiste, jedenfalls in der unterrichtsfreien Zeit. Die negative Religionsfreiheit der anderen Schüler sei nicht betroffen. Er werbe nicht für seine religiöse Überzeugung und provoziere auch nicht. Wenn er in einer Schulpause bete, seien dem weder Lehrer noch Schüler mit anderer religiöser Auffassung unentziehbar ausgesetzt. Sollte seine Religionsausübung bei Mitschülern zu Irritationen führen, sei dies Anlass, sich im Unterricht mit dem abweichenden Verhalten auseinanderzusetzen und Verständnis hierfür zu wecken, wie es auch das SchulG vorsehe. Eine konkrete Beeinträchtigung des Bildungs- und Erziehungsauftrags gemäß Art. 7 Abs. 1 GG durch das Beten sei nicht erkennbar. Das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates bedeute jedenfalls nicht, dass die Schule ein religionsfreier Raum sei. Im Übrigen sei das Verbot der Schulleitung von keiner Rechtsgrundlage gedeckt.

Beurteilen Sie in einem umfassenden Gutachten die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde.

Gehen Sie von folgenden – formell verfassungsgemäßen  – Normen des Bundeslandes Y aus:

§ 2 SchulG

(1) Unterricht und Erziehung richten sich an den Werten des Grundgesetzes […] aus. Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz […] zu gestalten […], an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten […].

(2) Unterricht und Erziehung […] sind so zu gestalten, dass sie die Selbstständigkeit, Urteilsfähigkeit, Kooperations-, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit sowie die Fähigkeit, verantwortlich Entscheidungen zu treffen, stärken.

§ 31 SchulG

(3) Die Schule legt in der Hausordnung Näheres über die Rechte und Pflichten der Schülerinnen und Schüler sowie des pädagogischen und des nichtpädagogischen Personals fest.

§ 5 Hausordnung Gymnasium

Die Schülerinnen und Schüler sind an die Vorgaben der Schulleitung gebunden.

Lösung

A. Zulässigkeit

Eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr.4a GG, §§ 13 Nr.8a,90 ff BVerfGG müßte zulässig sein.

I. Zuständigkeit

  • Art. 93 I Nr.4a GG, §§ 13 Nr.8a, 90 ff BverfGG

II. Beschwerdefähigkeit

§ 90 I BVerfGG: “Jedermann”

1.) Grundrechtsberechtigt
  • Art. 4 II = jedermann=B
2.) Grundrechtsfähigkeit
  • Rechtsfähigkeit=B=15J=§ 1 BGB

III. Prozessfähigkeit

Richtet sich nach der Grundrechtsmündigkeit

  • § 5 S.2 RelKErzG: Mit vollendetem 12.Lebensjahr kann man nicht gegen seinen Willen zu einem anderen Bekenntnis gezwungen werden.
  • § 5S.1 RelKErzG: mit vollendetem 14.Lebensjahr kann man eigene Entscheidung über Bekenntniszugehörigkeit treffen.
  • Strittig Grundrechtsmündigkeit:

a.) Theorie der flexiblen Altersgrenze:

Die individuelle Einsichtsfähigkeit ist entscheidend – § 5 RelKerzG als Indiz

b.) Theorie starre Altersgrenze:

§ 5 S.1 RelKerzG: 14 Jahre

c.) Hier: 15 Jahre = Streit hinfällig=B zumindest beschränkt geschäftsfähig=Grundrechtsmündig=Prozeßfähig

IV. Beschwerdegegenstand (Art.93 I Nr.4a,§ 90 I BverfGG)

  • Akt der Exekutive:

-Schulleitung „wies darauf hin“, dass an der Schule religiöse Bekundungen nicht erlaubt seien. Hierzu gehörten auch Gruppengebete. Die Entscheidung, dass öffentliche Beten in Gruppen im Schulgebäude zu untersagen, ist ein tauglicher Beschwerdegegenstand.

– Die Untersagung der Einzelgebete während der Unterrichtsfreien Zeit stellt ebenfalls einen tauglichen Beschwerdegegenstand dar.

– Akt der Judikative:

Das VG stellt fest, dass B keinen Anspruch darauf hat, während des Besuchs des Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein rituelles islamisches Gebet zu verrichten.

Beschwerdegegenstand ist somit das Urteil des VG als Akt der Judikative sowie zwei Anweisungen der Schulleitung als Akte der Exekutive.

V. Beschwerdebefugnis (§ 90 I BVerfGG)

  • Selbstbetroffen=Adressatentheorie=Verbot ist an B selbst gerichtet
  • Gegenwärtig=aktuelle Betroffenheit=er darf für die Dauer seines Schulbesuches nicht beten
  • Unmittelbar=kein weiterer Vollzugsakt nötig=Verbot der Schulleitung sowie Urteil des VG wirken direkt gegen B

VI. Rechtswegerschöpfung

  • § 90II1 BVerfGG: Urteil der letzten Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt vor, damit Rechtsweg erschöpft

VII. Subsidiariät

VB ist aufgrund der Rechtswegerschöpfung auch nicht mehr subsidiär, da dem B keine anderen prozessualen Mittel mehr zur Verfügung stehen.

VIII. Form, Frist, Begründung (23,92,93 BVerfGG) (+)

IX. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

-ist gegeben

B. Begründetheit

B könnte in Grundrecht aus Art.4 II GG verletzt sein durch das Urteil des VG sowie durch die Maßnahmen der Schulleitung

I. Schutzbereich

Dann müßte B in seinem persönlichem und seinem sachlichem Schutzbereich betroffen sein.

1. Persönlicher Schutzbereich

Besonderes Gewaltverhältnis

Problem: Ist Art. 4 GG im Schulverhältnis überhaupt anwendbar ?

aa.) Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis:

  • „Hypothetischer“ Grundrechtsverzicht durch Aufhebung Distanz Bürger-Staat durch Eingliederung (hier des Schülers) in den Staat.

bb.) Sonderstatusverhältnis:

Differenziert, ob Grundverhältnis (= Einzelfallcharakter) oder Betriebsverhältnis (= alle gleich betroffen), vorliegt

cc.) Stellungnahme:

Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis führt zu Grundrechtsfreiem Raum, dies verbietet schon Art. 17a GG, 5 II GG, 7 GG, Art.93 I Nr.4a GG, Art.19 IV GG. Eine Begrenzung der Grundrechte ist nur zulässig, soweit dies verfassungsrechtlich zulässig ist.

Ergebnis: Grundrechte und damit Art. 4 II GG gelten auch in besonderen Gewaltverhältnissen und damit auch in der Schule.

2. Sachlicher Schutzbereich
  • forum internum/ forum externum = einheitliches Grundrecht (liegt hier unstreitig vor)

II. Eingriffe

  • Urteil des VG stellt fest, dass B keinen Anspruch auf Gebetsverrichtung in Schule hat
  • Schulleitung verbietet B Beten in Gruppe
  • Schulleitung verbietet B Beten alleine in unterrichtsfreier Zeit

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Einschränkbarkeit des Art.4 II GG

a.) Art.137 III 1 WRV iVm Art. 140 GG
  • Betrifft Regelung eigener Angelegenheiten von Religionsgesellschaften, hier nicht einschlägig
b.) Art.136 III 2 WRV
  • Betrifft Fragerecht Behörden bezüglich Religionszugehörigkeit, hier nicht einschlägig
c.) Art.136 I WRV iVm.Art.140 GG
  • „allgemeine Gesetze“ könnten Art.4 GG beschränken, die gem. Art.136 I WRV die Bürgerlichen+Staatsbürgerlichen Rechte+Pflichten festschreiben und sich nicht gezielt gegen religiöse Freiheiten richten, ähnlich Art. 5 II GG.

aa.) Nach Ansicht des BVerwG erkläre nur die Fortgeltung des Art. 136 I WRV, dass Art.4 I,II GG keine Schrankenregelung enthalte

bb.) Nach Ansicht des BVerfG wird indess Art. 136 WRV von Art. 4 GG „überlagert“ und gesperrt. Art. 135 WRV, der die Religionsfreiheit in der WRV schützte, wurde nicht mit über Art. 140 GG in das GG aufgenommen. Art. 135 WRV stand in seinem S.3 unter dem „Vorbehalt Allgemeiner Gesetze“. Durch die Nicht-Aufnahme des Art. 135 WRV wollte man gerade verdeutlichen, daß der neue Art. 4 I,II GG schrankenlos zu gewähren sei.

cc.) Stellungnahme

Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen.

d.) Art. 5 II GG analog

Mit dem zuletzt genannten Argument ist auch eine analoge Anwendung der Schranke des Art. 5 II GG abzulehnen.

e.) Art. 2 I GG analog

Gleiches gilt für eine analoge Anwendung der Schranke nach Art. 2 I GG

f.) Kollidierendes Verfassungsrecht

Zu prüfen bleibt, ob kollidierendes Verfassungsrecht den Schutzbereich von Art. 4 I,II GG beschränken darf.

Kollidierendes Verfassungsrecht kann im Wege praktischer Konkordanz den einheitlichen Schutzbereich des Art. 4 I,II GG soweit einschränken, wie eine verhältnismäßige Entfaltung kollidierender Grundrechte oder Verfassungswerte dies erfordert. Dabei Bedarf die Einschränkung der Vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (BVerfGE 108,282; 83,130 [142]).

Ein Verfassungsmäßiger Eingriff setzt demnach voraus, dass

– kollidierendes Verfassungsrecht in Frage kommt,

– der Eingriff dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, sowie

– dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

aa.) Kollisionsnormen
(a) Art. 7 I GG
  • Sachlicher Schutzbereich:

Sicherung religiös-weltanschaulicher Neutralität. Dieser Schutzbereich ist durch die Ausübung des Gebetes durch B betroffen.

Fraglich ist, ob Art. 7 I GG als kollidierendes Verfassungsrecht in Frage kommen kann, da es sich um kein Grundrecht sondern um eine organisationsrechtliche Norm handelt.

Sollte es sich um eine reine Kompetenznorm handeln, so würde es bereits an einer von der Norm ausgehenden Handlungspflicht fehlen, und damit an einer Kollisionslage mit Art. 4 GG.

Weiterhin gibt es Stimmen, welche im Hinblick auf Art. 20a GG sagen, daß Staatszielbestimmungen Grundrechte generell nicht beschränken können, da aus ihnen keine hinreichend konkrete Handlungspflicht erwächst.

Sollte dem Art. 7 I GG keine hinreichend konkrete Handlungspflicht entnommen werden können, so würde keine Kollisionslage vorliegen.

Indes will Art. 7 I GG die religiös-weltanschauliche Neutralität sichern. Der Grund der Aufnahme des Art. 7 GG war gerade kollidierendes Verfassungsrecht zu schaffen, um insbesondere die Religionsfreiheit im Interesse einer gleichmäßigen Förderung der Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse zumindest lenken zu können. Durch diese von Art. 7 I GG für den Staat angeordneten „Lenkungsmaßnahmen“ wird auch eine Handlungspflicht für den einzelnen Inhaber des Grundrechtes aus Art. 7 I GG geschaffen.

Damit kommt Art. 7 I GG als kollidierendes Verfassungsrecht in Frage.

(b) Art. 6 II GG
  • Sachlicher Schutzbereich:

Recht, eigene Kinder vor Glaubensüberzeugungen fern zu halten. Dieser Schutzbereich ist durch die Ausübung des Gebetes durch B ebenfalls betroffen.

(c) Art. 4 I,II GG
  • Sachlicher Schutzbereich:

Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Auch dieser Schutzbereich ist durch die Ausübung des Gebetes durch B betroffen.

Ergebnis:

Es kommt kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht, da durch die Ausübung des Gebetes durch B die Schutzbereiche der Verfassungsgrundsätze aus Art. 7 I GG sowie der Grundrechte aus Art. 6 II GG und Art. 4 I,II GG betroffen sind.

bb.) Vorbehalt des Gesetzes (BVerfGE 108,282)

Zu prüfen ist, ob die im Interesse der aufgeführten betroffenen Schutzbereiche vorgenommenen legislativen+exekutiven Eingriffe in den Art. 4 I,II GG des B dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes genügen. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes folgt aus Art. 20 III GG, dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Demokratieprinzip und besagt, daß schwerwiegende Eingriffe in geschützte Rechtspositionen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Dies wird noch einmal durch die Wesentlichkeitstheorie bestätigt, welche sagt, daß die Regelungen für einen Eingriff dem Parlament vorbehalten bleiben, wenn er in wichtige Verfassungsgüter erfolgt. Demnach bedürfen auch nach der Wesentlichkeitstheorie staatliche Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 4 I, II GG einer parlamentarischen Grundlage.

(a) Verbot in Gruppe zu beten

  • Dieses Verbot beruht auf § 5 der Hausordnung des Gymnasiums
  • Nach dem aus dem in Art. 20 I GG niedergelegten Demokratieprinzip sowie dem Rechtsstaatsprinzip und der aus diesen Prinzipien hergeleiteten Wesentlichkeitstheorie ist bei Eingriffen in Grundrechte ein Parlamentsgesetz erforderlich. Damit scheidet die Hausordnung als geeignete Grundlage für das ausgesprochene Verbot aus.
  • Aus dem SchG ist ebenfalls keine Grundlage für eine Einschränkungsmöglichkeit von Grundrechten zu entnehmen. Im Gegenteil wird in § 31 SchulG dies auf die Hausordnung der Schule ausgelagert. Nach der vom Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes abgeleiteten Wesentlichkeitstheorie genügt die Hausordnung unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs nicht dem Parlamentsvorbehalt.

Damit liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes vor.

  • Weiterhin genügt § 5 der Hausordnung nicht dem ebenfalls dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Bestimmtheitsgebot.

Danach müssen Eingriffsermächtigungen für den Staat so deutlich formuliert sein, daß die Art und der Umfang der für die Verwaltung zugelassenen Eingriffsermächtigungen für den Bürger nachvollziehbar sind.

(b) Verbot Einzelgebete während der Unterrichtsfreien Zeit durchführen zu dürfen.

Auch dieses Verbot stützt sich auf § 5 der Hausordnung des Gymnasiums und scheitert damit schon am Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes sowie am Verstoß gegen das ebenfalls dem Rechtsstaatsprinzip entspringende Bestimmtheitsgebot.

(c) VG-Urteil

Das VG-Urteil beruht auf dem SchulG sowie der Verfassung. Damit entspricht es dem Vorbehalt des Gesetzes.

( cc ) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Wieweit eine Einschränkung des Art.4 I,II GG nötig ist, um den betroffenen Schutzbereichen aus Art. 7 I GG, Art. 6 II GG sowie Art. 4 GG zur größtmöglichen Entfaltung zu verhelfen, ohne den Kernbereich des Art. 4 GG zu verletzten, richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

( a ) Einschränkung durch Art. 7 I GG

Das Verbot des Betens in den Pausen ist verhältnismäßig, wenn der Zweck erlaubt ist sowie das Verbot geeignet, erforderlich und zumutbar ist.

(aa) Zweck des Verbotes zu beten:

Religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates sichern. Dieser Zweck ist erlaubt.

(bb) Mittel zur Erreichung des Zwecks: Betverbot

(cc) Geeignetheit des Mittels:

Betverbot dient der Erreichung des Zwecks die religiös-weltanschauliche Neutralität der staatlichen Schule zu sichern.

(dd) Erforderlichkeit des Mittels:

Zu fragen ist, ob es mildere Mittel zur Erreichung des Zwecks gibt. In Betracht käme die Bereitstellung eines Gebetsraumes. Dazu ist die Schule indes aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage. Damit sind keine milderen Mittel erkennbar.

(ee) Zumutbarkeit (Angemessenheit):

Bei der Abwägung zwischen der Freiheit des B, in den Pausen beten zu wollen und dem Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität ist die konkrete Ausformung dieser Neutralität mit zu berücksichtigen. Danach ist Neutralität nicht im Sinne einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche zu verstehen. Der Staat und damit die staatliche Schule haben vielmehr die Pflicht, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen zu fördern. Der Staat und damit die staatlichen Schulen dürfen auch nicht gezielt eine Beeinflussung in eine weltanschauliche Richtung betreiben. Fraglich ist, ob eine Förderung der Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse ihre Grenze findet, wenn es dabei zu Spannungen zwischen den einzelnen weltanschaulichen Gruppierungen kommt. So befürchtet die Schule im vorliegenden Fall Konflikte mit den Gruppierungen anderer Religionszugehörigkeiten. Indes fordert das Toleranzgebot, welches Ausfluß der Menschenwürde nach Art.1 GG ist, vom Staat, in Fällen von Spannungen nach einem Ausgleich zu suchen. Dies folgt schon aus der Bindung des Staates an die Grundrechte nach Art.1 III GG. Sollte man den Art.1I GG nicht als Grundrecht einstufen, so findet die Menschenwürde als Kerngehalt jedes einzelnen, dem Art. 1 III GG nachfolgenden Grundrechtes zumindest mittelbar Eingang in die Bindungswirkung des Staates. Die Konkretisierung und genauere Ausgestaltung des Toleranzgebotes obliegt den einzelnen Bundesländern. Dies folgt aus Art. 30,70 GG, wonach im Bereich des Schulwesens die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz haben. Das Toleranzgebot konkretisiert sich für das Bundesland Y damit in § 2 I SchulG. Nach § 2 II SchulG ist der Unterricht so zu gestalten, daß die Konfliktfähigkeit zwischen den Schülern gestärkt wird. Damit stehen zu erwartende Spannungen einer weiteren Förderung der einzelnen Glaubensfreiheiten nicht entgegen. Aus diesem Grunde muß aufgrund des in Art. 7 I GG enthaltenen und in § 2 SchulG konkretisierten Toleranzgebotes von der Schule eine Möglichkeit geschaffen werden, dem Schüler B das tägliche Gebet in den Schulpausen zu ermöglichen. Aus diesem Grunde verdrängt der Schutzbereich aus Art. 7 I GG auch nicht das Grundrecht auf Glaubensfreiheit aus Art. 4 I,II GG, sondern muß ihm zu einer angemessenen Entfaltung verhelfen. Wie und auf welchem Wege diese Entfaltung geschehen kann, steht im Entscheidungsbereich der betroffenen Schule.

(ff) Im Ergebnis ist das Betverbot somit nicht zumutbar und stellt einen zur Zielerreichung des Art. 7 I GG unverhältnismäßigen Eingriff dar.

(b) Einschränkung durch Art. 6 II GG

Zweck des Verbotes: Recht der Eltern zu sichern, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen.

(aa) Zweck ist erlaubt.

(bb) Mittel: Verbot zu beten.

(cc) Das Verbot ist geeignet, da es der Zweckerreichung dient.

(dd) Das Verbot ist erforderlich, da die zur Verfügungstellung eines Gebetsraumes kein milderes Mittel darstellt, da die Schule aus organisatorischen Gründen diesen nicht zur Verfügung stellen kann.

(ee) Zumutbarkeit (Angemessenheit):

Bei der Abwägung zwischen dem Erziehungsanspruch der Eltern sowie der Religionsfreiheit aus Art.4 I,II GG ist zu berücksichtigen, daß in der Schule der Erziehungsauftrag nicht ausschließlich bei den Eltern liegt. Über Art. 7 I GG hat der Staat einen eigenen Erziehungsauftrag zu erfüllen. Dieser Erziehungsauftrag orientiert sich –wie oben bereits geprüft- unter anderem über die Menschenwürde aus Art. 1 GG an dem Toleranzgebot. Das Toleranzgebot grenzt somit das Recht der Eltern aus Art. 6 II GG ein, ihre Kinder in jedem Fall von bestimmten Glaubensüberzeugungen fernzuhalten. Wieweit diese Einschränkung geht, hängt von der konkreten Ausformung des Toleranzgebotes ab. Nach § 2 II SchulG soll im Unterricht die Kommunikations- und Konflikfähigkeit der Schüler gefördert werden. Nach § 2 I SchulG sollen die Schüler für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen eintreten. Insoweit wird das Elternrecht in der Schule durch Art. 7 I GG überlagert und muß durch das Toleranzgebot bedingt eine Entfaltung des Grundrechtes aus Art. 4 I,II GG dulden. In welcher Form dies geschehen kann, ist Sache der Schule. So könnte der B in den Pause beispielsweise in einem leeren Unterrichtsraum beten.

(ff) Im Ergebnis erfolgt durch das Verbot zu Beten um das Grundrecht aus Art. 6 II GG zu schützen eine unverhältnismäßige Einschränkung des Art. 4 I,II GG.

( c ) Einschränkung durch Art. 4 I,II GG

(aa) Zweck des Verbotes: Schutz der Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fern zu bleiben. Zweck ist erlaubt.

(bb) Mittel: Verbot

(cc) Mittel ist geeignet und erforderlich.

(dd) Angemessenheit:

Auch hier ist die negative Religionsfreiheit durch Art. 7 I GG zu modifizieren und unter Zugrundelegung des Toleranzgebotes im Einklang mit dem Recht des B auf Ausübung seines Gebetes nach Art. 4 I,II GG zu bringen.

(ee) Im Ergebnis führt somit auch die negative Religionsfreiheit nicht zu einer verhältnismäßigen Einschränkung des Rechtes des B auf Ausübung seines Gebetes.

Gesamtergebnis: Sowohl die Verbote der Schulleitung wie auch das Urteil des VG stellen unverhältnismäßige Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 4 I, II GG dar.

Damit sind sowohl die Maßnahmen der Schulleitung wie auch das Urteil des VG verfassungswidrig.

Die Verfassungsbeschwerde des B ist zulässig und begründet.

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Anmerkung

Siehe auch den weiteren Klausurfall zum Schächtungsverbot sowie zur Vertiefung des Themas auch den Beitrag zur praktischen Konkordanz und siehe auch Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit

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