Zwangsvollstreckung
Die Zwangsvollstreckung ist ein staatliches Verfahren mit dem der Gläubiger zwangsweise seine Ansprüche gegen den Schuldner durchsetzen kann.
Verschrien als ungeliebtes, kompliziertes Rechtsgebiet ist das Zwangsvollstreckungsrecht für Studenten und Referendare meist ein Buch mit sieben Siegeln. Und viele müssen sich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Materie zwängen. Das muss aber nicht sein, denn das Zwangsvollstreckungsrecht hat ein System. Ein recht gutes System sogar. Um dieses Rechtsgebiet zu verstehen, hilft – wie fast immer – ein Blick ins Gesetz.
Die Zwangsvollstreckung und ihre Rechtsbehelfe (Teil I)
Übersicht
Mit diesem Artikel bieten wir Ihnen einen Überblick über das Zwangsvollstreckungsrecht. Die wichtigsten Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung werden vorgestellt. Die einzelnen Instrumentarien, um eine Zwangsvollstreckung durchzuführen oder aber um sich gegen eine Zwangsvollstreckung zu wehren werden angesprochen und erläutert. Zur schnellen Übersicht und zur Orientierung finden Sie am Ende ein jeweiliges Prüfungsschema zu den behandelten Themen. Im ersten Teil gibt es eine Einleitung in das Rechtsgebiet. Ferner gibt es eine Erläuterung der Systematik der Zwangsvollstreckung und es werden die wichtigsten Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorgestellt.
Im zweiten Teil, geht es um Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen und den Ablauf der Mobiliarvollstreckung. Im dritten Teil wird die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche kurz erläutert und dann die Rechtsbehelfe der Zwangsvollstreckung angesprochen. Im vierten und letzten Teil geht es dann um die Rechtsbehelfe im Einzelnen.
Einleitung
Die Zwangsvollstreckung ist ein staatliches Verfahren mit dem der Gläubiger zwangsweise seine Ansprüche gegen den Schuldner durchsetzen kann. Damit der Gläubiger nicht in Selbsthilfe seine Ansprüche gegenüber dem Schuldner durchsetzt, sondern dies in einem geordneten Verfahren stattfindet, gibt es die Regeln der Zwangsvollstreckung im 8. Buch der ZPO (§§ 704 ff. ZPO).
Systematik
Für die unterschiedlich durchzusetzenden Ansprüche gibt es unterschiedliche Normen, die angewandt werden müssen. So gibt es z.B. eine Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen oder eine Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung.
Welche Normen anzuwenden sind, sagt das Gesetz. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der ZPO gibt den besten Überblick über die Zwangsvollstreckung:
- In Abschnitt 1 (§ 704- § 802 ZPO) finden sich die allgemeinen Zwangsvollstreckungs-voraussetzungen. Diese müssen bei jeder Vollstreckungsmaßnahme gegeben sein.
- Abschnitt 2 (§ 803- § 882a ZPO) regelt die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderung. Ganz wichtig, hier muss immer unterschieden werden, in welchen Gegenstand vollstreckt wird: Vollstreckung ins bewegliche Vermögen, dann gelten die §§ 803- 863 ZPO oder Vollstreckung ins unbewegliche Vermögen, dann gelten die Normen §§ 864- 871 ZPO.
- In Abschnitt 3 (§ 883- § 898 ZPO) gibt’s die Zwangsvollstreckung wegen anderer Forderungen/Ansprüche: Anspruch auf Herausgabe von Sachen (§ 883- § 886), Anspruch auf Vornahme von Handlungen (§ 887- § 888), Anspruch auf Duldung und Unterlassung (§ 890), Anspruch auf Abgabe eine Willenserklärung (§ 894- § 898).
Sie müssen also lediglich immer folgende Fragen abhandeln:
1. Sind die allgemeinen Vorschriften gegeben?
- Weswegen findet die ZV statt?
2.1. Wegen Geldforderung? Dann §§ 803- 822a ZPO
2.1.1. in das bewegliche Vermögen? Dann §§ 803- 863 ZPO
2.1.2. in das unbewegliche Vermögen? Dann §§ 864 – 871 ZPO
2.2. Wegen anderer Ansprüche? Dann §§ 883 – 898 ZPO
2.2.1. Worauf gerichtet?
2.2.2. Herausgabe? Dann §§ 883- 886 ZPO
2.2.3 Duldung/ Unterlassung? Dann § 890 ZPO
2.2.4. Abgabe einer Willenserklärung? Dann § 894 ZPO
2.2.5. Handlung? Dann § 887- 888 ZPO
Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung
Zwangsvollstreckung wegen Geldforderung
Hier richtet sich die Vollstreckung danach, über welche Vermögensgegenstände der Schuldner verfügt, in die der Gläubiger vollstrecken kann:
Der Gläubiger kann zunächst in so genannte bewegliche Sachen des Schuldners wie z. B. in Schmuck oder luxuriösen Hausrat vollstrecken. Zur Vollstreckung pfändet der Gerichtsvollzieher die Gegenstände und sie werden dann zwangsversteigert.
Der Gläubiger kann zur Durchsetzung seiner Geldforderung auch in Forderungen vollstrecken, die dem Schuldner gegen einen Dritten zustehen. Wichtig sind hier z.B. die Forderungen des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Lohn oder Gehalt und Forderungen des Schuldners gegen seine Bank auf Auszahlung seines Guthabens.
Grundstücke oder Eigentumswohnungen des Schuldners können ebenfalls zur Durchsetzung der Ansprüche gepfändet und zwangsversteigert werden oder unter Zwangsverwaltung gestellt werden.
Herausgabe von Sachen
Ist der Schuldner dazu verurteilt worden, eine Sache herauszugeben, so nimmt der Gerichtsvollzieher die Sache dem Schuldner weg und übergibt sie dem Gläubiger. Wichtige Anwendung dieser Zwangsvollstreckung findet sich im Bereich des Mietrechts im Rahmen der Räumung von Mietwohnungen.
Handlung/Unterlassung
Ist der Schuldner verpflichtet, z.B. einen Baum zu entfernen, kommt in Betracht den Gläubiger zu ermächtigen, auf Kosten des Schuldners die Handlung vorzunehmen, den Baum also zu fällen oder ein Zwangsgeld gegen den Schuldner festsetzen zu lassen.
Soll der Schuldner eine bestimmte Äußerung unterlassen, kann er für jede Zuwiderhandlung zu einem Ordnungsgeld verurteilt werden.
Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Der Gläubiger kann die Zwangsvollstreckung allerdings nur betreiben, wenn der Schuldner nicht freiwillig seinen Verpflichtungen aus dem Titel nachkommt.
Tipp für die Praxis und für Referendare: Es empfiehlt sich meistens, vor der Zwangsvollstreckung das Gespräch über Ratenzahlungen oder Sanierungsmöglichkeiten zu suchen, bevor man den Gerichtsvollzieher einschaltet.
Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung sind – kurz, knapp und leicht zu merken – folgende:
Antrag, Titel, Klausel, Zustellung
Dazu im Einzelnen:
Antrag
Die Zwangsvollstreckung wird nicht automatisch eingeleitet, sondern erfolgt erst nach einem Antrag des Gläubigers. Dieser Punkt ist aber in der Regel meistens gegeben und kann eher vernachlässigt werden.
Titel
Ein Titel ist meistens ein Gerichtsurteil (Endurteil nach § 704 I ZPO). Es kann aber auch ein Vollstreckungsbescheid, eine vollstreckbare Urkunde oder aber ein Vergleich, der vor einer Gütestelle oder einem Gericht ausgesprochen wurde, sein. Die Vollstreckungstitel finden sich aufgelistet in § 794 ZPO. Hauptsache ist, dass geklärt wurde, dass der Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner hat.
Allerdings ist eine Zwangsvollstreckung nicht nur aus unanfechtbaren Endurteilen erlaubt. Denn dann würde für den Gläubiger die Gefahr bestehen, dass der Schuldner Rechtsmittel nur deshalb einlegt, um die Zwangsvollstreckung hinauszögern zu können. Daher sieht § 704 I 2. Alt. ZPO vor, Endurteile für vorläufig vollstreckbar zu erklären. So kann der Gläubiger vor der Rechtskraft vollstrecken. Allerdings nicht gefahrenlos, denn wenn das Urteil doch wieder aufgehoben wird, muss er Schadensersatz nach § 717 II ZPO leisten. Daher wird die vorläufige Vollstreckbarkeit in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung angeordnet. Und hier schließt sich wieder der Kreis und man versteht, warum es im Tenor u.a. heißt: „Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet“.
Klausel
Der Vollstreckungstitel muss mit einer so genannten Vollstreckungsklausel versehen sein, die in der Regel vom Prozessgericht bzw. bei notariellen Urkunden vom Notar erteilt wird. Sie bescheinigt, dass der Gläubiger aus dem Titel vollstrecken kann.
Wichtig ist, dass von einem Titel nur eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt werden darf. Das heißt, dass für jeden Titel eine Vollstreckungsklausel erforderlich ist.
Natürlich gibt es auch Fälle (keine Regel ohne Ausnahme), bei denen keine Vollstreckungsklausel vorliegen muss. Das ist bei Kostenfestsetzungsbeschlüssen der Fall, wenn diese gem. § 105 ZPO auf das Urteil gesetzt wurden (§§ 794 I Nr. 2, 795a ZPO), als auch bei Vollstreckungsbescheiden (§§ 794 I Nr. 4, 796 ZPO).
Weiterhin darf die Klausel nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass heißt:
1. Wirksamer Vollstreckungstitel
2. Titel vollstreckbar, d.h. Endurteil muss rechtskräftig oder vorläufig vollstreckbar sein
3. Titel muss einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben, d.h er muss hinreichend bestimmt sein
4. Die Parteien im Titel müssen identisch sein mit den Parteien im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Zustellung
Schließlich muss der Titel (das Urteil, die notarielle Urkunde etc.) dem Schuldner zugestellt werden. Schließlich soll er davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ein Verfahren bevorsteht, so dass er dementsprechend handeln kann. Allerdings kann die Zustellung auch gleichzeitig mit dem Beginn der Zwangsvollstreckung stattfinden. Das ist nur recht so, denn so hat der Schuldner keine Möglichkeit, wertvolle Gegenstände etc. beiseite zu schaffen, um die Zwangsvollstreckung zu vereiteln.
Urteile und Beschlüsse stellt das Gericht selbst zu. Die Zustellung aller anderen Titel muss der Gläubiger selbst veranlassen. Er muss hiermit einen Gerichtsvollzieher beauftragen. PRAXIS TIPP: Es muss der zuständige Gerichtsvollzieher sein. Diesen findet man über die „Gerichtsvollzieherverteilungsstelle“ des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Schuldner wohnt.
Dann gibt es noch die besonderen Voraussetzungen, z.B. dann, wenn der Anspruch erst an einem bestimmten Kalendertag geltend gemacht werden darf, oder wenn die Zwangsvollstreckung davon abhängt, dass der Gläubiger vorher eine Sicherheitsleistung erbringt.
Letztlich dürfen keine Vollstreckungshindernisse vorliegen. Ein besonders wichtiges Hindernis liegt vor, wenn über das Vermögen des Schulnders das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dann sind Vollstreckungsmaßnahmen nach § 89 InsO unzulässig. Weitere Hindernisse sind §§ 775, 707, 719, 765a, 766, 771 III ZPO (Bitte im Gesetz nachlesen).
Prüfungsschema: Vollstreckungsvoraussetzung der Zwangsvollstreckung
- Allgemeine Voraussetzungen
- Antrag
- Titel
- Klausel
- Zustellung
- Besondere Voraussetzungen
§ 751I, § 752 II, § 756, § 765 ZPO
- Keine Vollstreckungshindernisse
§ 89 InsO
§ 775 ZPO
§§ 707, 719, 765a, 766, 771 III ZPO
Vorschau:
Im zweiten Teil geht es um die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderung in das der Gläubiger wahlweise in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen des Schuldners vollstrecken kann. Hier wird u.a auch die Pfändung angesprochen.
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Zu dem Thema dieses Beitrages siehe auch zur Ergänzung den „Klausurfall Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung“ sowie den „Klausurfall Vollstreckungsrecht“ und als Fortsetzung dieses Beitrages „Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen“. Zu diesem Themenkomplex kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden.
siehe auch: „Klausur zum Vollstreckungsverhältnis„
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