Die Verpflichtungsklage
Aufbau der Verpflichtungsklage; Tenorierung; Sachurteilsvoraussetzungen; Ermessen/Verhältnismäßigkeit
Die Verpflichtungsklage stellt neben der Anfechtungsklage eine weitere Klage des zu beherrschenden „Standardrepertoire“ im Verwaltungsrecht dar und ist ebenfalls in § 42 I VwGO geregelt (genauer: § 42 I Alt. 2, 3 VwGO). Sie kommt infrage, wenn der Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes begehrt wird. In Klausuren spielt die Verpflichtungsklage häufig im Baurecht (Baugenehmigung) eine Rolle.
Zu unterscheiden ist zwischen der Versagungsgegenklage (§ 42 I Alt. 2 VwGO) und der Untätigkeitsklage (§ 42 I Alt. 3 VwGO).
A. Sachurteilsvoraussetzungen
I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO.
Jura Indivuell- Tipp: In aller Regel ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs unproblematisch gegeben und kann kurz mit den gängigen Theorien abgehandelt werden.
II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO
Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 1 bis 5 VwGO.
B. Zulässigkeit der Verpflichtungsklage
I. Statthaftigkeit, § 42 I Alt. 2, 3 VwGO
Die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (Alt. 2) ist statthaft, wenn die Klage auf den ablehnenden Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) einer Behörde gerichtet ist.
Die Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage (Alt. 3) ist statthaft, wenn die Behörde nach einem Antrag (gar) nicht entschieden hat.
In Klausuren hat die Verpflichtungsklage vor allem im Baurecht große Bedeutung, wenn eine vom Kläger begehrte Baugenehmigung von der zuständigen Behörde abgelehnt wird und dieser nun dagegen vorgehen möchte.
II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
Bei der Verpflichtungsklage richtet sich (wie bei der Anfechtungsklage) die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO. Demnach müsste der Kläger möglicherweise in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein. Dies ist dann der Fall, wenn er durch die Ablehnung des von ihm begehrten VA in seinem Recht verletzt ist. Die Adressatentheorie ist hier nicht anwendbar, da Art. 2 I GG als Grundrecht nur ein Abwehr- und gerade kein Leistungsrecht enthält.
III. Ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff. VwGO
Grundsätzlich ist vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchzuführen. In einigen Bundesländern (u. a. Bayern, Niedersachsen) entfällt das Widerspruchsverfahren (z. B. Art. 15 I, II BayAGVwGO für Bayern, § 80 I NJG für Niedersachsen) und ist nur in wenigen fakultativen Fällen von Bedeutung.
IV. Klagefrist, §§ 74 I 2, 58 II VwGO
Die Verpflichtungsklage gegen Verwaltungsakte beträgt nach § 74 I 2 VwGO bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 58 I VwGO) einen Monat. Unterbleibt eine solche, gilt gemäß § 58 II VwGO die Jahresfrist.
Die Klagefrist berechnet sich nach § 57 II VwGO in Verbindung mit §§ 222 I ZPO, 187 I, 188 II BGB. Fällt das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet die Frist nach § 222 II ZPO am darauf folgenden Werktag.
Welche Tage allgemeine Feiertage sind, bestimmt sich nach Bundes- sowie dem Landesrecht, in dem das für die Klage zuständige Gericht seinen Sitz hat. (Fies zum Beispiel hierzu war in einem bayerischen Examenstermin, das Fristende auf den 8. August in Augsburg zu setzen, welcher einzig und allein nur im bayerischen Augsburg ein Feiertag ist.)
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO
Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt nach §§ 61, 62 VwGO.
Jura Individuell- Tipp: Dieser Punkt ist in der Regel kurz anzusprechen und nur zu problematisieren, wenn sich im Sachverhalt Hinweise ergeben.
C. Begründetheit der Verpflichtungsklage
Wichtig ist stets, den Obersatz korrekt zu formulieren, da dieser die Begründetheit einleitet und die Prüfungsreihenfolge vorgibt.
Obersatz:
Die Verpflichtungsklage ist begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten VA rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 V 1 VwGO.
I. Passivlegitimation, § 78 I Nr. 1 VwGO
Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10)
Jura Individuell-Tipp: Nicht in allen Bundesländern wird die Passivlegitimation in der Begründetheit geprüft. In Niedersachsen gehört sie beispielsweise in die Zulässigkeit. Da es sich um ein reines Aufbauproblem handelt, ist in Klausuren aber nicht zu begründen, weshalb man sich für die eine oder die andere Variante entschieden hat. Am Besten achtet man darauf, welchen Weg der Professor und die AG-Leiter vorgeben.
II. Unterschiedliche Aufbauarten
Bei der Verpflichtungsklage gibt es zwei unterschiedliche Aufbaumöglichkeiten. Der Anspruchsaufbau (= Regelfall) kommt insbesondere bei gebundenen Entscheidungen in Betracht und der „Ablehnungsaufbau“ (oder auch Rechtswidrigkeitsaufbau) bei Ermessensentscheidungen.
Jura Individuell – Tipp: Der Regelfall in Klausuren ist meist die Ablehnung der Erteilung einer Baugenehmigung. Hier ist der Anspruchsaufbau zu wählen. Die Anspruchsgrundlage auf Erteilung einer Baugenehmigung in den landesrechtlichen Vorschriften ist stets eine gebundene Entscheidung (vgl. „ist zu erteilen“ z. B. § 70 I NBauO, § 75 BauO NW, Art. 68 I 1 BayBO, § 73 LBauO).
- Anspruchsaufbau
Die Anspruchsgrundlage kann sich aus Gesetz, öffentlich-rechtlichem Vertrag oder einer Zusicherung ergeben.
- „Ablehnungsaufbau“
Hier ist die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheides zu prüfen.
Jura Individuell – Tipp: Es ergeht kein Verpflichtungsurteil, sondern ein Bescheidungsurteil nach § 113 V 2 VwGO, da die Sache noch nicht spruchreif ist. Spruchreife bedeutet, dass das Verwaltungsgericht zu einer abschließenden Entscheidung über den Erlass des VA in der Lage ist (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 113 Rn. 193). Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung fehlt es an einer Spruchreife.
- Rechtsverletzung
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Im Folgenden werden Tenorierungskonstellationen dargestellt, wobei auf die Kostengrundentscheidung, die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Entscheidung über die Zulassung der Berufung verzichtet wird.
I. Das Gericht hält die Klage für begründet (Verpflichtungsurteil)
Tenor: „Der Bescheid (…) vom (…) wird aufgehoben. Der/Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger … zu erteilen. “
II. Das Gericht hält die Klage für unbegründet (Verpflichtungsurteil)
Tenor: „Die Klage wird abgewiesen.“
III. Das Gericht erlässt ein Verbescheidungsurteil
Tenor: „Der Bescheid des (…) vom (…) wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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