Missbrauchstatbestand der Untreue
Missbrauchstatbestand;Untreue; Prüfungsschema; 266 I 1. Alt.; Vermögensbetreuungspflicht; Pflichtenstellung; Sonderdelikt; Pflichtdelikt; Verfügungsbefugnis
Vorab: Für die meisten Studenten ist der § 266 I StGB mit seinen beiden Alternativen ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei gehen die Merkmale des Tatbestandes wunderbar aus der Norm hervor und dank einiger Transferleistungen braucht man sich nicht mal viele neue Definitionen zu merken. Deshalb gehen wir hier Schritt für Schritt die vermeintlichen Probleme im Umgang mit der Untreue nach § 266 I StGB an. Am Ende werdet ihr für die Klausur auf Untreue hoffen – versprochen!
Die Untreue ist ein Sonderdelikt, ein sog. Pflichtdelikt. Tauglicher Täter kann daher nur sein, wer eine besondere Pflichtenstellung innehat.
I. Objektiver Tatbestand
1. Tathandlung
Missbrauch der Verfügungs- bzw. Verpflichtungsbefugnis für ein fremdes Geschäft
a) Unter Missbrauch ist die Einhaltung des rechtlichen Könnens im Außenverhältnis unter Verletzung/Überschreitung des rechtlichen Dürfens im Innenverhältnis zu verstehen.
→ klassisches Beispiel für die Missbrauchsalternative des § 266 I 1. Alt. StGB ist der Prokurist. Dieser genießt nach § 49 I HGB fast uneingeschränkte Vertretungskompetenz. Wird seine Vertretungsmacht im Innenverhältnis auf bestimmte Geschäfte beschränkt, gilt dies daher nicht für das Außenverhältnis. Handelt er seiner, im Innenverhältnis erteilten, Weisung zuwider, wird der Geschäftsherr im Außenverhältnis daher dennoch wirksam verpflichtet.
Fall:
Prokurist P ist angestellt bei der A-GmbH. Die Prokura ist ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen. Im Innenverhältnis hat P die Weisung erhalten, bei Geschäften, die ein Volumen von mehr als 50.000 Euro haben, mit dem Geschäftsführer Rücksprache zu halten bis er sein „okay“ erhalten hat. Jedenfalls darf er laut der Vereinbarung, die im Innenverhältnis geschlossen wurde, solch ein Geschäft nicht ohne Erlaubnis nach vorheriger Rücksprache vornehmen. Als P mit dem Geschäftsmann G verhandelt, der ihm ein „gutes Angebot“ macht, das er ihm aber erst ab einer Verkaufsmasse von 60.000 Euro machen könne, wittert P ein gutes, einmaliges Angebot für die A-GmbH und unterschreibt den Vertrag mit G. Da die im Innenverhältnis erteilte Beschränkung für das Außenverhältnis nicht gilt (§ 50 Abs.1 HGB), hat P die GmbH wirksam vertreten. Dabei hat er sein rechtliches Können im Außenverhältnis eingehalten, dabei jedoch sein rechtliches Dürfen im Innenverhältnis verletzt.
b) fremdes Vermögen
Dies beurteilt sich vorwiegend nach dem bürgerlichen Recht. Fremd ist das Vermögen daher dann, wenn es nicht dem Täter allein zuzurechnen ist (BGHSt 1, 186, 187).
Bsp: A verschenkt an seine heimlich Angebetete C den Palandt, den er sich von B ausgeliehen hat. Der Palandt war für A fremd.
c) Verfügung
Def.: – ist jede Änderung, Übertragung, Belastung oder Aufhebung einer Rechtsposition.
→ Achtung: Transferleistung: Hier wird die gleiche Definition verwendet wie bei § 816 BGB – merken!
Fall: A ist bei B angestellt. B kauft und verkauft in seinem Geschäft Antiquitäten. Als der Kunde K einen antiken Schrank sieht, wendet er sich an A und beide werden sich über den Kaufpreis einig (Kaufvertrag/ Verpflichtungsgeschäft). Ein paar Tage später holt B den Schrank ab. Mit dem Fortschaffen sind alle Voraussetzungen für eine wirksame Verfügung nach § 929 BGB erfüllt: Diese sind nämlich:
(1) Einigsein über die Eigentumsübergabe (zumindest zwischen dem rechtsgeschäftliche Vertreter des B, A und dem K).
(2) Übergabe der Sache unter Aufgabe jeden Besitzrests durch den vormaligen Eigentümer.
(3) Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe.
(4) Der Veräußerer müsste Berechtigter gewesen sein.
Damit hat der vormalige Eigentümer seine Rechtsstellung verloren und K ist neuer Eigentümer des Schrankes geworden. Es ist eine Änderung der Rechtsposition eingetreten. A hat an K Eigentum übertragen, er hatte die dafür erforderliche Verfügungsbefugnis kraft Rechtsgeschäft mit B inne. Eine Verfügung i. S. d. § 929 BGB ist mithin gegeben. Ein Verfügungsgeschäft liegt vor.
–> Achtung: Wichtig ist, dass die Verfügung rechtlich wirksam ist.
d) einen anderen verpflichtet
Def.: wer dessen Vermögen schuldrechtlich mit einer Verbindlichkeit belastet.
→ hier handelt es sich demnach um die Eingehung eines Verpflichtungsgeschäfts zulasten des Geschäftsherrn bzw. Geschädigten.
Fall: A ist bei B angestellt. B kauft und verkauft in seinem Geschäft Antiquitäten. Als der Kunde K einen antiken Schrank sieht, wendet er sich an A und beide werden sich über den Kaufpreis einig. Es wird ein schriftlicher Kaufvertrag aufgesetzt, aus dem der Betrag hervorgeht und dass der Schrank am ersten des Folgemonats zu K geliefert werden soll.
Durch den Kaufvertrag gem. § 433 BGB wurde B wirksam verpflichtet, dem K Besitz und Eigentum an dem Schrank zu übereignen. In dem Kaufvertrag ist daher ein Verpflichtungsgeschäft zu sehen. Der A hat den B wirksam verpflichtet. Damit wäre § 266 I 1. Alt. 2. Fall StGB einschlägig.
→ Merke: Es handelt sich bei diesen beiden Varianten (Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis) innerhalb des Missbrauchstatbestandes um den Missbrauch durch Eingehung eines Verfügungsgeschäfts oder eines Verpflichtungsgeschäfts. Dabei kann zur Bestimmung, ob eine Verfügungs- oder eine Verpflichtungsbefugnis missbraucht wurde, auf den AT des BGB verwiesen werden. Ganz einfach durch einige Transferleistungen zu subsumieren, oder?
2. Vermögensbetreuungspflicht (VBP)
Vorab: Strittig innerhalb des Missbrauchstatbestandes ist die Frage, ob auch hier eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht bestehen muss. Hier geht es im Kern um das systematische Verhältnis der 1. Alternative zu dem Relativsatz gem. § 266 I 2. HS.
Dabei hält eine Ansicht die beiden Alternativen für selbstständige Tatbestände und möchte die VBP daher nur für den Treuebruchtatbestand anwenden. Die hM und Rspr. sehen die Missbrauchsvariante als speziellen Unterfall der Treuebruchvariante und verlangen daher eine Vermögensbetreuungspflicht (dieser Ansicht sollte in der Klausur auch gefolgt werden).
Denn nur so sei die Ausuferung der Strafbarkeit nach § 266 I StGB zu vermeiden. Zudem spricht die Notwendigkeit einer Modalitätenäquivalenz innerhalb des § 266 StGB dafür. Als Wortlautargument wird hervorgebracht, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass der Wortlaut des Relativsatzes sich nur auf die 2. Alternative beziehe.
Voraussetzungen:
drei Elemente müssen hier (gedanklich) geprüft werden:
a) Geschäftsbesorgung für einen anderen
→ dies muss sich als eine wesensbestimmende Hauptpflicht darstellen, d. h. die Geschäftsbesorgung muss von Fremdnützigkeit geprägt sein.
b) mit einem Aufgabenbereich von einigem Gewicht
→ dies ist nach BGH anhand einer Gesamtschau zu beurteilen, wobei vor allem Art und Umfang der Tätigkeit, Dauer des Treueverhältnisses, Grad der Selbstständigkeit und ein eigener Ermessensspielraum des Täters Indizien sind. Arg: Ohne diese einschränkenden Kriterien wäre die Strafbarkeit des § 266 I StGB zu ausufernd. So wäre grds. jede vorsätzliche zivilrechtliche Verletzung von Nebenpflichten iSd. § 241 II BGB strafbar. Das kann mit dem ultima ratio Charakter des Strafrechts jedoch nicht vereinbart werden.
Bsp: Die Sekretärin, die sich sonst nicht um die Buchführung kümmert, hat keine solche Pflicht inne, wenn sie einmalig von ihrem Chef gebeten wird, eine Überweisung zu tätigen. Ebenso wenig wird man das von einem Lagerarbeiter annehmen können, der einmalig dem Kunden einen Verkaufsgegenstand aushändigt, weil der Geschäftsführer, der sonst für diese Aufgaben zuständig ist, nicht vor Ort ist.
c) und einem gewissen Grad an Verantwortlichkeit für das fremde Vermögen
Bsp: Der Geschäftsführer eines Geschäfts, der mit den Geldern seines Chefs betraut ist und für die ordnungsgemäße Buchführung zu sorgen und Rechnungen zu begleichen hat, hat eine solche Pflicht inne. Aber auch der Vermieter bzgl. der Mietkaution des Mieters (vgl. BGH Beschluss vom 2. 4. 2008 (5 StR 354/07)) oder der Anwalt für seine Mandantengelder (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2003 – 3 StR 276/03) .
3. Taterfolg: Nachteil
→ Achtung Transferleistung: Nach allgemeiner Ansicht wird für diese Voraussetzungen auf die Definition des Vermögensschadens iSd. § 263 I StGB verwiesen.
Danach ist ein Nachteil anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabes nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung unter Berücksichtigung einer etwaigen Schadenskompensation zu bewerten.
Bsp: A ist als Buchhalter bei B angestellt. Seit Längerem ärgert er sich über seinen Chef. Um ihm eins auszuwischen, deaktiviert er den automatischen Lastschrifteinzug für eine monatlich anfallende Forderung gegenüber einem Dritten. Die Forderung verjährt. Damit ist ein Nachteil zu Lasten des B eingetreten.
Hinweis: Anders als beim Betrug muss es dem Täter nicht darauf ankommen, dass er selbst einen Vermögensvorteil erhält. Dies ist nicht Voraussetzung für den Tatbestand der Untreue!
vgl. auch Leitsatz im Siemens-Fall: Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB.
Sonderfällle:
Kein Nachteil liegt vor, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet. Dies ist z. B der Fall beim Freiwerden von einer Verbindlichkeit durch (weisungswidrige) Erfüllung einer Schuld.
II. Subjektiver Tatbestand
Mindestens bedingter Vorsatz
III./IV. Rechtswidrigkeit/Schuld
V. Regelbeispiele gem. § 266 II StGB
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zu dieser Problematik: Klausur zur Untreue und Unterschlagung
siehe auch: mittlebare Täterschäft und Verbotsirrtum und Beihilfe, Error in persona und aberratio ictus, Aufbau Erlaubnistatbestandsirrtum, Prüfschema Nötigung und Anstiftung
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